Am 7. Mai 1915 versenkt die U 20 ohne Vorwarnung das Passagierschiff Lusitania
Foto: Mansell/The Life Picture Collection/Getty Images
Am 1. Mai 1915 lief die Lusitania unter Kapitän William Turner von New York in Richtung Liverpool aus. Sie war 1907 vom Stapel gelaufen, eines der größten Schiffe der Welt, im Dienst der Cunard Line und seit Kriegsbeginn das einzige, das noch den Passagierverkehr auf der Atlantikroute bediente. Sie hatte 1.258 Passagiere in drei Klassen, 701 Besatzungsmitglieder, drei blinde Passagiere, Tausende Kisten mit 4,2 Millionen Schuss Gewehrmunition und weiteres kriegswichtiges Material an Bord.
Am 7. Mai kurz nach 14 Uhr torpedierte das deutsche U-Boot U 20 unter Kapitänleutnant Walther Schwieger die Lusitania ohne Vorwarnung nahe der irischen Küste. Kurz nach der Explosion des Torpedos ereignete sich eine weitere, schwerere. Das Schiff sank innerhalb von 18 Minuten. 1.198
ten. 1.198 Menschen kamen ums Leben: 785 Passagiere, darunter 94 Kinder, 413 Crewmitglieder, wohl auch die drei blinden Passagiere. Die Torpedierung der Lusitania führte nicht nur zur größten Schiffskatastrophe der Zeit, sondern die 128 Amerikaner unter den Opfern, darunter zahlreiche Prominente, waren der Ausgangspunkt dafür, dass die USA 1917 in den Krieg eintraten. Zwar stellte Deutschland den uneingeschränkten U-Boot-Krieg einstweilen ein, doch die desaströse Wirkung war nicht mehr aus der Welt zu schaffen.Während man nämlich in Deutschland meinte, den Kampf für deutsche Kultur gegen westliche Zivilisation zu führen, sah man draußen die Deutschen nurmehr als barbarische Babyschlächter. In Deutschland eher verdrängt und vergessen, blieb im angloamerikanischen Raum dieser Untergang mindestens ebenso präsent wie der der Titanic. In der Erfassung und Bewertung wurde seither so ziemlich alles in Frage gestellt. Was war mit der zweiten, die Katastrophe besiegelnden Explosion, da doch nur ein Torpedo eingesetzt worden war? Lange wurde gemutmaßt, sie sei durch geladene Munition entstanden, heute geht man davon aus, dass es sich um eine Kohlenstaub- oder Dampfexplosion handelte. Ungereimtheiten in den Funkbefehlen und -warnungen ebenso wie der Rückruf eines britischen Kreuzers von der bereits angelaufenen Hilfsaktion führten zu Verschwörungsspekulationen; es hieß etwa, Churchill habe die Lusitania absichtlich vor die deutschen U-Boote manövriert, um die Amerikaner in den Krieg zu treiben.Die Frage, ob der Angriff ein Schwerverbrechen war oder ein zu rechtfertigender Kriegsakt, wurde 1923 in einem New Yorker Gerichtsverfahren zwar zugunsten des deutschen U-Boot-Kapitäns entschieden, dennoch sind die völkerrechtlichen Fragen darin bis heute strittig. Der warnungslose Beschuss bleibt ein schwerer Makel. Nach nicht eben wenigen Darstellungen bisher – vom Sachbuch zum Roman, vom Dokumentar- zum Spielfilm – haben zwei Autoren den 100. Jahrestag für neuerliche Bücher genutzt, die unterschiedlicher kaum sein könnten.Im Wesentlichen von denselben Daten und Fakten ausgehend, haben sie doch ganz andere Interessenlagen und darstellerische Ausrichtungen. Erik Larson, bekannter Reporter und Autor von Sachbuchbestsellern wie Isaacs Sturm, rekonstruiert auf 400 Seiten (plus weiteren 60 Seiten Nachweisen) die „größte Schiffstragödie des Ersten Weltkriegs“ in einem versierten Wechsel von szenisch plastischen Vergegenwärtigungen, panoramatischen Einbettungen und historischen Unterfütterungen und Erläuterungen. Das steht in bester Tradition populär erzählender Sachbücher angloamerikanischer Provenienz. In wechselnder Perspektive von Luxusliner und U-Boot entwickelt er die Vorgeschichte und die Bewegung hin auf die fatale Konfrontation. Dabei erscheint ihm das Bordleben der Lusitania nicht nur eher langweilig, sondern offenbar auch weniger spannend als das von U 20, dessen Männeralltag in Enge, Gestank und Anspannung er entschieden drastischer als eine Art Cholerahospital zu gestalten weiß. Während Kapitän Schwieger eher knapp als der wenig menschenfreundliche Hundeliebhaber skizziert wird, der er wohl war, gehört seine ausführlichere Empathie dem vom Schicksal wie von der öffentlichen Meinung gebeutelten Kapitän Turner. Als dritter Ort kommtRoom 40 in der Admiralität hinzu, wo man alle wesentlichen Informationen über Vorlauf und Weg von U 20 hatte, die Lusitania aber dennoch nur unzureichend warnte. Auch wenn Larson da dezenter ist, dem Leser scheint die Admiralität eher ein überforderter Bürokratenhaufen gewesen zu sein, dem der Schutz seines Kriegsschiffs Juno wichtiger war als die Rettung von tausend Schiffbrüchigen, die bei 13 Grad im Wasser trieben. Larson schildert die Katastrophe sehr eindrücklich, bis hin zu den Folgen für die Angehörigen der vielen, deren Leichen nie gefunden wurden. Dann skizziert er noch den Weg der USA in den Krieg: Einen Tag nach dem zweiten Jahrestag der Versenkung der Lusitania nahmen amerikanische Zerstörer ihre Patrouillenfahrten vor England auf.Der Germanist Willi Jasper, bekannt geworden mit einer vorzüglichen Biografie zu Heinrich Mann, will hingegen auf 200 Seiten die „Kulturgeschichte einer Katastrophe“ liefern. Entsprechend kompakt stellt er das eigentliche Geschehen dar. Ihn interessiert mehr die propagandistische und mentalitätsgeschichtliche Seite. Er arbeitet daher nicht nur pointiert heraus, wie die Briten einen Propagandafeldzug gegen die deutschen Barbaren, Hunnen und Wikinger führten, sondern entwickelt vor allem die deutschen Aspekte, die Positionen des Kulturhochmuts gegenüber dem „bloß Zivilisatorischen“ der Feinde einerseits, andererseits den deutschen Militarismus im Allgemeinen und da wiederum speziell den Heldenkomment der U-Boot-„Wikinger“, der gesinnungsfest und meinungsstark vorgetragen wird. Da „grölen“ die Matrosen Hermann Löns’ U-Boot-Lied, beobachtet Kapitän Schwieger „kaltblütig“ den Todeskampf, liefert in seinem Kriegstagebuch eine „sachlich-unbeteiligte Täterbeschreibung“ und wirft „noch einmal einen mitleidlosen Blick auf das Geschehen“. Während die Engländer „nur wenig zimperlich“ sind, zeichnen sich die deutschen U-Boote durch „skrupelloses Vorgehen“ aus und versenken „wahllos“.HurrapatriotismusJasper fokussiert sich auf die „Brutalisierungsprozesse und Mentalitätswidersprüche“ der deutschen Gesellschaft. Was er dabei – einmal mehr – zusammenstellt, ist wahrlich nicht angetan, den Kulturstolz der damaligen Journalisten, Gelehrten oder Schriftsteller zu rechtfertigen. Und so hat das Buch seine Stärke in der Rekapitulation der einschlägigen Reaktionen und Notate. Dass Ludwig Ganghofer hurrapatriotisch frohlockte, will man leicht glauben, dass aber Thomas Mann noch nach dem Krieg in den Betrachtungen eines Unpolitischen publizierte, was er zuvor zur Lusitania niedergeschrieben hatte, ist nicht ganz so leicht erklärlich: Das deutsche Volk sei gemeinsam bereit gewesen, „Schuld auf sich zu nehmen“. Es habe weder über die Brutalität der Gegner gejammert noch selbst Brutalität gescheut. „Gebilligt hat es die Vernichtung jenes frechen Symbols der englischen Seeherrschaft und einer noch immer komfortablen Zivilisation, des Riesenlustschiffes Lusitania, und dem welterfüllenden Zetermordio humanitärer Hypokrisie die Stirn geboten. Den uneingeschränkten Unterseebootkrieg aber hat es nicht nur gebilligt, es hat danach geschrien.“Angesichts der britischen Hungerblockade gegen Deutschland, die Frauen und Kinder besonders traf, hielt Thomas Mann die Empörung über den Tod von Frauen und Kindern bei der Versenkung der Lusitania für „weibische Inkonsequenz“ und „Heucheltribut an die ‚Menschlichkeit‘“. Anders sein Bruder Heinrich, anders Karl Liebknecht, anders Kurt Tucholsky, anders Karl Kraus, anders auch Erich Mühsam, der erschüttert war – und den das rohe Geplapper der einen Freundin in die Ehe mit der anderen trieb. Und da wären schließlich noch diejenigen, in deren Tagebüchern der Vorgang keine Spuren hinterließ: Kafka befasst sich zu jener Zeit mit Damenbartflaum und liest in seinem Heizer, Robert Musil sinniert an der Südtiroler Front über das Sexualleben der Bauern.Placeholder infobox-1
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