Heute soll das neue Lieferkettengesetz vom Deutschen Bundestag verabschiedet werden. Noch am 8. März, dem internationalen Frauentag, versprach Entwicklungsminister Gerd Müller (CDU), das Gesetz werde die Grundlage für faire Arbeitsbedingungen in den globalen Lieferketten der von Deutschland aus agierenden transnationalen Konzerne schaffen. Damit verbunden ist ein Versprechen für mehr soziale Gerechtigkeit und, als Teil derselben auch dafür, dass Frauen endlich stärker selber über ihr eigenes Leben bestimmen können. Bei genauerer Betrachtung des Gesetzesentwurfs der CDU/CSU- und SPD-Koalitionsregierung wird jedoch klar: Einen Beitrag für mehr Gendergerechtigkeit wird es nicht leisten.
Doch genau das wäre dringend nötig. Auch Arbeitsverhältnisse entlang der Lieferketten sind durchzogen von Geschlechterverhältnissen. Sie sind global geprägt von Lohnunterschieden zwischen den Geschlechtern, genderspezifischer und sexualisierter Gewalt sowie unzureichendem Schutz von Gesundheit. Wenn zum Beispiel in den Ländern, in denen deutsche Konzerne produzieren lassen, Sozialleistungen wie Krankengeld, Elternzeiten und ähnliches fehlen, leiden darunter überdurchschnittlich oft Frauen. Sie sind weltweit mit einer Doppelbelastung durch Lohn- und Sorgearbeit konfrontiert. An diesen Verhältnissen ändert sich wenig, weil die Staaten des globalen Südens mit niedrigen Steuern und niedrigen Löhnen um ausländische und damit eben auch deutsche Kapitalinvestitionen konkurrieren. Entsprechend mangelt es in diesen Ländern an Sozialsystemen, die eine andere Aufteilung von familiären und beruflichen Aufgaben ermöglichen und Frauen Freiheiten in ihrer Lebensgestaltung lassen. Erziehung und Pflege von nicht mehr oder noch nicht arbeitsfähigen Angehörigen bleibt vor allem den Frauen aufgebürdet. Zudem kommt, dass Frauen und Menschen aus dem LSBTIQ+-Spektrum viel zu wenig in Führungspositionen, Gewerkschaften und Konsultationsprozessen repräsentiert sind.
Verantwortlich sind auch Primark, KiK und Walmart
Ein besonders prägnantes Beispiel für die Notwendigkeit eines geschlechtergerechten Lieferkettengesetzes ist die Textilbranche. Der Einsturz des Fabrikkomplexes Rana Plaza in Bangladesch, der sich Ende April zum achten Mal jährte, bildete einen Startpunkt der Debatte über Lieferkettengerechtigkeit. Beim Einsturz des Fabrikgebäudes wurden insgesamt 1.135 Menschen getötet und 2.438 weitere verletzt – hauptsächlich Frauen. Am Tag der Katastrophe hatten die Arbeitgeber die Arbeiterinnen unter Androhung der Entlassung gezwungen, in der einsturzgefährdeten Fabrik zu arbeiten – und das entgegen der ausdrücklichen Weisung der Polizei. In der Aufarbeitung dieses Kapitalverbrechens wurde recht schnell deutlich, dass die Verantwortung nicht einfach bei den Eigentümern des Rana Plaza zu suchen war, sondern auch bei den westlichen Konzernen wie Benneton, Mango, KiK, Walmart und Primark, die ihre Kleidung in Rana Plaza produzieren ließen. Die Aufgabe eines Lieferkettengesetzes, das den Namen verdient, wäre es gewesen, diese Mitschuld rechtlich greifbar zu machen und die westlichen Konzerne für die Produktionsbedingungen der in ihrem Auftrag produzierenden Textil- und anderen Unternehmen verantwortlich zu machen, um nachhaltig etwas an diesen Zuständen zu verändern.
Der erste Versuch, die Lieferkettenproblematik in Deutschland zu bearbeiten, war der Nationale Aktionsplan Wirtschaft und Menschenrechte (NAP) von 2016. Dieser setzte auf die freiwillige Umsetzung von Umwelt- und Menschenrechtsstandards durch deutsche Konzerne. Da das deren Interesse an Profitmaximierung unter dem kapitalistischen Systemzwang völlig entgegensteht, entfaltete es keine Wirkung. Der Koalitionsvertrag von CDU/CSU und SPD sieht für den Fall eines gescheiterten Nationalen Aktionsplans eine gesetzliche Regulierung vor, die nun in den letzten Wochen der Legislaturperiode durchgebracht werden soll.
Die UN-Arbeitsgruppe für Wirtschaft und Menschenrechte hat 2019 eine Anleitung für eine gendergerechte Umsetzung der UN-Leitprinzipien veröffentlicht, um zu verhindern, dass Geschlechterverhältnisse entlang der Lieferketten unsichtbar bleiben. Da das Thema der Geschlechtergerechtigkeit jedoch im Nationalen Aktionsplan völlig unterrepräsentiert war, fragte die Linksfraktion im Deutschen Bundestag Entwicklungsminister Müller im Oktober 2020, wie das Lieferkettengesetz die Umsetzung des Diskriminierungsverbots sicherstellen solle. Uns wurde damals versichert, dass eine explizite Berücksichtigung der Gleichberechtigung der Geschlechter im Sorgfaltspflichtengesetz durch das Entwicklungsministerium vorgesehen sei. Im aktuellen Entwurf ist davon allerdings nicht viel übriggeblieben.
Hätte das neue Gesetz die Katastrophe verhindert?
Das Verbot der Ungleichbehandlung aufgrund des Geschlechts wurde in den Menschenrechtskatalog aufgenommen, viele weitere internationale Abkommen zum Schutz von Frauen und besonders schutzbedürftigen Minderheiten aber nicht. Es fehlt eine explizite Aufforderung an die Konzerne, in jedem Schritt der Sorgfaltspflicht Geschlechterverhältnisse zu berücksichtigen. Dafür müssten Unternehmen beispielsweise in ihrer Risikoanalyse die spezifischen Probleme von Frauen, wie sexualisierte Gewalt am Arbeitsplatz, Nachteile aufgrund von familiärer Belastung und weitere explizit beachten und wären verpflichtet, nach Geschlecht aggregierte Daten zu erheben. Beschwerdemechanismen müssten so konzipiert werden, dass sie allen Geschlechtern tatsächlichen und sicheren Zugang eröffnen. Ganz allgemein wichtig sind aus Geschlechterperspektive robuste gewerkschaftliche Organisierungsrechte, denn Gewerkschaften sind die ganz grundsätzliche Voraussetzung für lohnpolitische Errungenschaften und Umverteilungsmaßnahmen, die den Aufbau von sozialen Sicherungs- und Unterstützungssystemen fördern. Innerhalb bestehender gewerkschaftlicher Systeme und in konsultativen Prozessen wären dabei die Rechte aller Geschlechter zu stärken. Dafür bedarf es einer qualitativen Beteiligung von Frauen und der LGBTIQ-Community.
Der größte Fehler für Frauen und alle Betroffenen entlang der Lieferketten besteht aber nicht nur im Fehlen der Geschlechterperspektive. Das gesamte Gesetz greift viel zu kurz: Es soll zum einen nur Unternehmen mit mehr als 1.000 Mitarbeitenden betreffen. Außerdem soll die Sorgfaltspflicht nur für deren unmittelbare Lieferkette gelten. Dadurch wird der größte und in der Regel heikelste Teil der vielgliedrigen Lieferketten missachtet und die Augen werden vor Menschenrechtsverletzungen am Anfang der Lieferkette verschlossen. Es ist fraglich, ob also Katastrophen wie der Einsturz des Rana Plaza 2013 überhaupt unter den Geltungsbereich fallen würden. Und selbst wenn ein Konzern seine Sorgfaltspflicht innerhalb dieses sehr begrenzten Geltungsbereiches verletzt, wird es für die Geschädigten weiterhin sehr schwierig sein, Entschädigung einzuklagen. Die Wirtschaftslobby hat es geschafft, die zivilrechtliche Haftung für Unternehmen aus dem Gesetzesentwurf herauszuverhandeln. Statt den Zugang zu Abhilfe für Betroffene zu vereinfachen und Kollektiv- und Verbandsklagen zu ermöglichen, wird weiterhin auf das sehr eingeschränkt anwendbare und undurchsichtige Internationale Privatrecht gesetzt. Das fand bisher aber nur in einem einzigen Fall, nach einem Fabrikbrand in Pakistan, gegen KiK Anwendung.
Das heute zu verabschiedende Lieferkettengesetz ist ein kleiner Schritt in die richtige Richtung. Es bleibt aber aus einer Perspektive der sozialen Gerechtigkeit und gerechter Geschlechterverhältnisse weit hinter seinen Möglichkeiten zurück. Es bedarf eines alternativen Ansatzes, der die sozialen Ungerechtigkeiten tatsächlich behebt und nicht nur ein Feigenblatt ist. Wir werden weiter an der Seite der globalen Arbeiter*innenbewegung und feministischer Gruppen dafür kämpfen.
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