Zug der Erinnerung

Ausstellung Kultur

Seit November rollt ein "Zug der Erinnerung" mit einer Ausstellung, die an die Deportation jüdischer Kinder durch die Reichsbahn erinnert, durchs Land. Am wenigsten hat das mit der Deutschen Bahn AG zu tun. Die Vorstandsmitglieder Otto Wiesheu und Hartmut Mehdorn versuchen vielmehr mit allen Mitteln, die private Initiative hinter dem Ausstellungsprojekt zu behindern. Im Berliner Hauptbahnhof durfte der Zug nicht Station machen.

Das Vorbild stammt aus Frankreich. Dort organisierte das Ehepaar Serge und Beate Klarsfeld mit großem Erfolg einen Zug der Erinnerung an die Deportation der Juden aus Frankreich. Und in zahlreichen französischen Bahnhöfen - prominent in der Pariser Gare de l´Est - verweisen große Erinnerungstafeln nicht nur auf das Verbrechen, sondern auch auf den Widerstand französischer Lokomotivführer und Eisenbahnarbeiter, die Transporte zu sabotierten versuchten und dies mit dem Leben bezahlten.

Über 40 Jahre, nachdem durch Raul Hilbergs bahnbrechende Studie über Die Vernichtung der europäischen Juden der Anteil der Reichsbahn an den 60 Jahre zurückliegenden Verbrechen jedem Abiturienten geläufig ist, verhalten sich Mehdorn, Wiesheu Co. so, als hätte die Bahn damit nichts zu tun. Mit 1,4 Millionen Mitarbeitern war die Reichsbahn eine Massenorganisation, in der Tausende von loyalen Knechten nicht nur Bescheid wussten über die Judendeportation, sondern ihr Können dafür einsetzten, den "Vorgang" möglichst effizient durchzuziehen. Die Reichsbahn transportierte die Juden bekanntlich in Güterwagons quer durch Europa in die Vernichtungslager. Aber sie kassierte, wie Hilberg nachwies, den Tarif für "gewöhnliche Fahrgäste 3.Klasse" und stellte dafür vier Pfennige pro Zugkilometer in Rechnung. Gelegentlich wurden die Judentransporte als "Wehrmachtszüge" deklariert, um den Weg der Opfer in den Tod zu beschleunigen - die Transportkapazitäten im Krieg waren knapp.

Man muss Mehdorn wegen seiner ebenso peinlichen wie einfältigen Versuche, den "Zug der Erinnerung" zu verhindern beziehungsweise auf Nebengeleise abzustellen, nicht auf die gleiche Stufe setzen wie die nationalsozialistischen Reichsbahn-Apparatschicks zwischen 1942 und 1945. Diese völlig abwegige Parallele zog Michael Szentei-Hesse, Verwaltungsdirektor der Jüdischen Gemeinde Düsseldorf, im März. Mehdorn ist kein Nazi, sondern ein typischer Vertreter der neoliberal gestriegelten Schröder-SPD - und für die sind Projekte wie der "Zug der Erinnerung" schlicht Kostenfaktoren. Deshalb verlangt Mehdorn von der Initiative 3,50 Euro für jeden Bahnkilometer, 5 Euro für jede Parkstunde und 450 Euro für jeden Ausstellungstag - das macht für November 2007 bis Mai 2008 rund 100.000 Euro für "die Inanspruchnahme der Eisenbahninfrastruktur". Der geschichts- und obendrein gewissenlose Rechner Mehdorn ließ sich nicht einmal auf den Deal ein, seine "Erinnerungskosten" buchhalterisch in eine Sachspende umzuwandeln. Mehdorn entblödete sich auch nicht, modische Umwelt- und Klimaprobleme in Stellung zu bringen, weil der "Zug der Erinnerung" von einer Dampflokomotive durchs Land gezogen werde ("Rußpartikel" als "Umweltgefährdung"). Wahrscheinlich verpuffen Mehdorn und seine Vorstandsleute mit ihren Flügen und Dienstwagen pro Woche mehr Abgase als die Dampflokomotive in sechs Monaten.

Wie gesagt: Mehdorn ist kein Nazi. Mehdorn ist einzig interessant als Beleg für die politisch-moralische Grundausstattung, die Teile des Führungspersonals des Landes auszeichnet. Das erwies sich zuletzt beim Gerangel um die Entschädigung der wenigen überlebenden Zwangsarbeiter. Mehdorn hat daraus nichts gelernt. Man sollte ihn, statt die Bahn privatisieren zu lassen, wie Schröder weiter vermitteln an Putin.

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