Zum Abschied Küsschen

Dokumentarfilm Der männliche Lokalreporter ist ein aussterbender Berufsstand
Ausgabe 27/2021

„Wir müssen uns von dem Gedanken lösen, dass das Print-Geschäft eine Zukunft hat“: So heißt es ganz zu Anfang des Films in der Einführung zu einer Fortbildung in Sachen Digitalisierung, die sich als roter Faden durch diesen Film zieht. Der Blick ins Publikum zeigt, dass dieses zu geschätzt 95 Prozent männlich ist und zu mindestens 70 Prozent über 50. Dabei bleibt es unklar, aus welchem journalistischen Bereich genau die Adressierten kommen.

Unter den Anwesenden ist auch Thomas Willmann, der seit 25 Jahren in der Sportredaktion der Schweriner Volkszeitung arbeitet und mit Handschlag begrüßt wird, wenn er als Berichterstatter mit Fotokamera und Notizblock zu einem Wettkampf in der Region antritt. Weil Willmann die Menschen, über die er schreibt, so gut kennt, verbietet er sich selbst zu deutliche Stellungnahmen. Jetzt soll auch er seine „Geschichten“ zusätzlich für Tablet und Smartphone und als Videos aufarbeiten. Dabei telefoniert er bis jetzt noch mit einem alten Knochen-Handy.

Werner Hülsmann verantwortet bei den Osnabrücker Nachrichten seit 30 Jahren eine Kolumne namens Werners Cocktail und trifft dafür lokale Stars und Sternchen wie den Schlagersänger Christian Steiffen („der nette Gott von nebenan“) oder die Sopranistin Ella Weller, vor deren Villa ein Cabrio mit Leopardenmuster parkt. Mit dem Reporter sind auch hier beide per Du, zum Abschied gibt es Küsschen und den Wunsch auf baldiges Wiedersehen. Auch Hülsmann schwört auf die Übersichtlichkeit der bisherigen PC-Redaktions-Software beim Schreiben. Doch für ihn steht nächstes Jahr sowieso die Rente an.

Den beiden Herren steht im Film mit der Nachwuchsjournalistin Anna Petersen eine sozial engagierte Digital Native gegenüber, die im Lauf des Drehs ihre erste Stelle bei der Landeszeitung Lüneburg antritt. Auch sie ist bodenständig, hat ihr Studium mit einer Arbeit über den Bürgerbus ihrer Heimatgemeinde Bienenbüttel abgeschlossen. Ein Praktikum beim Magazin der Süddeutschen Zeitung hatte ihr zusätzlich verdeutlicht, was die Arbeit aus dem Münchner Glasturm mit dem Journalismus macht. Und auch wenn in ihrem malerischen Schreibstil manchmal etwas Relotius-Lyrik anklingen mag – ihr Stoff sind solide recherchierte Geschichten aus der kleinstädtisch-ländlichen Welt, die direkt vor dem Fenster des Redaktionsbüros beginnt. Petersens Haltung ist die einer leidenschaftlichen Aufklärerin, die auf die Wirkung von Dialog und Nähe für das gegenseitige Vertrauen zwischen Journalistin und Lesepublikum setzt. Bei ihr wäre die Zukunft der Lokalpresse sicher in guten Händen.

Der Film des deutschen Grimme-Preisträgers Jean Boué (Die Unerhörten) ist als beobachtende Studie angelegt, wobei die Situationen journalistischer Arbeit in den Redaktionen und im Feld mit markanten Ausschnitten der jeweils entstandenen Artikel unterlegt sind. Das ist – unterstützt durch einen melancholischen bis ironischen Musikeinsatz – vergnüglich anzuschauen, auch wenn durch die starke Personalisierung die strukturellen Ursachen der Krise des Lokaljournalismus und die Debatten über Zukunftskonzepte höchstens angetippt werden.

So ist Die letzten Reporter eine sympathetische Hommage an einen gerne auch geschmähten Berufsstand. Sichtbar wird allerdings weniger das Ende einer Profession, sondern der bevorstehende Abschied einer noch selbstverständlich dominanten Männlichkeit in diesem Bereich. So bietet Boués Film als Surplus zu seinem eigentlichen Thema aufschlussreiche Einsichten in die sich verändernden Lebensrealitäten der norddeutschen Provinz. Mal sehen, was die enormen ruhestandsbedingten personellen Umbrüche in den nächsten Jahren mit den Redaktionen machen werden.

Info

Die letzten Reporter Jean Boué Deutschland 2020; 95 Minuten

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