Wikipedia und Guttenberg: Eine Liebesgeschichte des Copy
Zehn Vornamen grenzen an ein unüberschaubares Maß, da fällt ein elfter nicht weiter auf. Darauf spekulierte auch ein Journalistenschüler im Februar 2009, als er den Wikipedia-Eintrag von Karl-Theodor zu Guttenberg manipulierte und dem Politiker einen zusätzlichen „Wilhelm“ andichtete. KTG war am Sonntag, den 8. Februar 2009 zum Bundes-Wirtschaftsminister ernannt worden und erhielt am folgenden Tag entsprechende Medienaufmerksamkeit, in der die Aufzählung seiner Vornamen zum sportiven Element der Berichterstattung wurde. Und sie tappten alle in die Falle: Bild, Süddeutsche, Spiegel Online, der Tagespiegel, gar die Titanic. Der anonyme Blogger veröffentliche zwei Tage später sein
28;ter sein „Experiment“ auf bildblog.de, verwundert über die Copy-Paste-Methoden vieler Journalisten und ihr Vertrauen in die Wikipedia – die gerade wegen ihrer relativen Zuverlässigkeit zu einer effektivsten Gerüchteschleudern des Netzes geworden ist. Die aufgeschreckten Medien blätterten im „Genealogischen Handbuch des Adels“ nach und erkannten ihren Fehler. Auch Wikipedia korrigierte den Eintrag, und die mediale Wirklichkeit war wieder an Guttenbergs Zehnteiler angepasst.Weißes Gold? Aufruhr um ein Bild von Pirat Simon WeißDer Piratenpolitiker Simon Weiß veröffentlichte im November 2011 ein Bild auf Twitter. Zu sehen ist der junge Mann, wie er sich mit einem Geldscheinröhrchen weißes Pulver in die Nase zieht; neben der Pulverlinie steht ein Salzstreuer. Online, zumindest von den Followern der Berliner Abgeordneten, wurde das Bild als Scherz verstanden, genau wie es laut Weiß auch gemeint war: „Das ist gutes, ehrliches Markensalz!“, twitterte er. Er habe lediglich eine satirische Anspielung auf die Ergo-Versicherung machen wollen, erklärte er später. Von Mitarbeitern des Versicherungsunternehmens waren im Mai 2011 Bilder von einer Lustreise aufgetaucht. Sie zeigten einige Angestellte mit weißem Pulver. Das sei nur Salz gewesen, hieß es hinterher. Das Foto des Piraten wurde von der Bild jedoch nicht als Satire interpretiert. Sie kommentierte: „Lustig hin, lustig her, Fakt ist: Der Landespolitiker täuscht eine Straftat vor.“ Ein holpriger Medienübergang. Denn zusammen mit dem Bildartikel brach eine Welle des Protestes über Weiß und die Piraten herein. Wenige Wochen später gab Simon Weiß seinen Rückzug aus dem Landesvorstand bekannt. Laut eigener Aussage weil die Doppelbelastung in Parlament und dem Parteigremium zu hoch sei.Das Never-Ending-Gerücht: Facebook soll kostenpflichtig werden„Facebook wird Geld kosten“ ist ein Gerüchteklassiker. Ende 2009 traten der Gruppe We‘re against facebook charging £14.99 a month innerhalb weniger Tage etwa 850.000 Nutzer des sozialen Netzwerks bei. Der anonyme Gründer der Gruppe hatte behauptet, das Netzwerk wolle von Januar 2010 an Geld verlangen. Weitere Gruppen bildeten sich, die mit Petitionen dafür kämpften, dass das Netzwerk weiterhin kostenlos bleibe. Drohungen, aus dem Netzwerk auszutreten, machten in den Statusmeldungen die Runde. Zugleich kursierten Nachrichten, welche die Gerüchte zur Falschmeldung erklärten.Manche meinten gar, die ganze Aktion sei ein Beispiel für virales Marketing: Durch gezielt gestreute Gerüchte werden Gespräche über das eigene Unternehmen angeheizt, die Nutzer diskutieren, die Klickzahlen des Unternehmens profitieren davon. Geschadet hat das Ganze Facebook zumindest nicht: Allein 2010 registrierten sich allein etwa 250 Millionen neue Nutzer. Und die Startseite der Plattform stellt nach wie vor klar: „Facebook ist und bleibt kostenlos.“ Trotzdem hält sich das Gerücht weiterhin hartnäckig. Und im Netzwerk selbst gibt es immer noch Gruppen mit dem Titel: We are against Facebook charging money.Politische Demontage: Anthony Weiners Cybersex-DesasterEs begann nicht mit einem Gerücht, sondern mit einem handfesten Nachweis. Am 27. Mai 2011 geriet ein Bild vom Intimbereich des US-Kongressabgeordneten Anthony Weiner durch ein Versehen Weiners in Umlauf – in Unterhose und mit erigiertem Penis. Es war ein Twitterbild an eine College-Studentin in Seattle. In den meisten Fällen taucht zuerst ein Gerücht auf, dann wird daraus ein Skandal, nicht umgekehrt. Der damalige Anwärter auf das Amt des New Yorker Bürgermeisters versuchte kurzerhand, diesen Mechanismus umzudrehen: Er sei Opfer von Hackern geworden, beteuerte er, und beauftragte eine Internet-Sicherheitsfirma mit der Aufklärung des Falls. Zugegeben: Das Foto war allein vom Anschauen nicht eindeutig Weiner zuzuordnen. Aber es war von seinem Dienst-Account gesendet worden. Und hatte damit Strom von Informationen über sein digitales Sexleben in Gang gesetzt, der in den folgenden Wochen an die Oberfläche trat. Weitere Bilder tauchten auf und wurden von Blogger Andrew Breitbart auf seiner Webseite biggovernment.com veröffentlicht. Schließlich zeigte sich Weiner reumütig, bestätigte die Authentizität der Bilder, entschuldigte sich – und legte sein Mandat als Kongressabgeordneter nieder.Das isharegossip.com-Urteil: Cybermobbing kommt auf den IndexWieviel Raum sollte man Gerüchten geben? Den Betreibern der Mobbingplattform isharegossip.com zufolge eine ganze Menge. Die Internetseite listete mehrere Hundert Schulen und Universitäten auf und lud dazu ein, Mitschüler, Lehrer und Mitmenschen zu beschimpfen und zu beleidigen. In einigen Gruppen auf der Seite eskalierte das Cybermobbing. Die Folgen: wüste Beschimpfungen, sogar Amokdrohungen, die im März 2011 für zwei Tage zur Schließung einer Schule in Berlin-Zehlendorf führten.Als dann der 17-jährige Freund eines Opfers dessen Mobber in persona zur Rede stellte, wurde er krankenhausreif geprügelt. Daraufhin schaltete sich die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften ein und setzte die Webseite auf den Index. Die Staatsanwaltschaft erhob Anklage wegen Beleidigung und Volksverhetzung.Das vorläufige Ende der Internetseite besiegelte jedoch die Hackergruppe 23timesPi. Sie kaperte im Juni 2011 die Domain der Webseite, hackte angeblich die persönlichen Daten der Betreiber und drohte mit deren Veröffentlichung im Netz. Am Schluss stellte sich auch das als böses Gerücht heraus – die Hacker hatten nur geblufft.