Papst Franziskus und die indigenen Völker: Vergessener Völkermord

Aufarbeitung Von den Verbrechen der katholischen Kirche während der spanischen Kolonisation zu jenen an den „first nations“ in Kanada: Papst Franziskus bittet Indigenen-Vertreter um Vergebung – und schweigt über einen Völkermord in Argentinien
Ausgabe 31/2022
Papst Franziskus in Kanada
Papst Franziskus in Kanada

Foto: Vincenzo Pinto/AFP via Getty Images

Papst Franziskus lässt nicht locker. Trotz heftiger Angriffe der spanischen Rechten und ihrer Medien gegen diesen „Kommunistenpapst“ im Vorjahr – ausgelöst durch seine Bitte um Verzeihung für die Verbrechen während der spanischen Kolonisation – hat er nun erneut um Vergebung gebeten. Diesmal in Kanada, und wieder wegen Verbrechen der katholischen Kirche an den indigenen Völkern. Immerhin hatten sich im Jahr 1980 auf einem Kongress die 634 Indigenenkulturen in Kanada (mit 50 Sprachen) den Namen „first nations“ gegeben. Damit war ein klarer historischer Anspruch proklamiert.

Papst Franziskus nimmt erneut in Kauf, als Sympathisant des „Indigenismus“ – gemäß seinen Gegnern eine neue Variante des Kommunismus – verdächtigt zu werden.

Vorsätzliche Ausrottung

Erstaunlicherweise hat der gleiche Papst, dieser Argentinier mit bürgerlichem Namen Jorge Mario Bergoglio, soweit bekannt bisher nicht öffentlich zu einem der schlimmsten Völkermorde der Geschichte, und zwar im eigenen Land, Stellung genommen. Die Rede ist von der sogenannten „Wüstenkampagne“, die von 1878 bis 1884 stattfand. Was dem Reisenden in Argentinien auffällt, ist der Umstand, dass das Thema indigene Bevölkerung eigentlich nicht vorkommt und man auch bis auf seltene Begegnungen in Patagonien und in der nordwestlichen Provinz Salta, etwa auf der Hochebene Puna Atacama, auf keine „indígenas“ trifft. Dabei war doch das Land vor Eintreffen der spanischen Kolonisatoren von Indigenen genauso bevölkert wie die USA. Man fragt sich also, wo denn die Indigenen Argentiniens geblieben sind.

Der Süden Argentiniens, insbesondere das heutige Patagonien, war damals von Mapuches, Ranqueles und Tehuelches besiedelt, neben vielen kleineren indigenen Kulturen. Deren Anwesenheit in ihren Stammesgebieten setzten der Expansion der spanischen und kreolischen Großgrundbesitzer und der Durchsetzung der staatlichen Autorität Grenzen. Im Unterschied zum gegen gegen die Indigenen gerichteten Krieg der US-amerikanischen Einwanderer, die für die Besiegten Reservate einrichteten, in denen sie jedenfalls formell die Möglichkeit hatten, sich einen Rest ihrer kulturellen Identität zu erhalten, hatten Regierung und Militär in Argentinien entschieden, die Indigenen nicht nur kulturell, sondern auch physisch zu vernichten. Der militärische Anführer Julio Argentino Roca sprach ausdrücklich von einer notwendigen „Ausrottung“.

In Ketten durch Buenos Aires

Viele tausend indigene Krieger wurden getötet und über 2.000, dazu mehr als 10.000 Frauen und Kinder, gefangengenommen. Diese, in stacheldrahtbewehrten Lagern untergebracht, wurden zunächst in Patagonien an Ort und Stelle als Zwangsarbeiter in der Landwirtschaft eingesetzt. Über 3.000 von ihnen gelangten dann nach einem Fußmarsch von über tausend Kilometern per Schiff nach Buenos Aires.

Dort defilierten sie, aneinander angekettet und vom Publikum begafft, durch die Straßen. Später wurden Frauen und Männer strikt voneinander getrennt, um deren Fortpflanzung zu verhindern, andere Männer wurden vorsichtshalber kastriert. Die Männer endeten als Zwangsarbeiter unter brutalen Bedingungen im ganzen Land verteilt, und die Frauen als Haussklavinnen oder Prostituierte des reichen Bürgertums, organisiert von der „Sociedad de Beneficencia“ katholischen Ursprungs. Die Mehrzahl der gefangenen Krieger wurde auf die Insel Martín García verbracht, wo sie bald elendiglich zugrunde gingen. Roca, der militärische Anführer der „Wüstenkampagne“, wurde später argentinischer Präsident.

Die Grausamkeiten, die damals schon von einigen mutigen argentinischen Zeitungen als „Völkermord“ bezeichnet wurde, gipfelten darin, ganze Familien von „indígenas“ ins Museum „La Plata“ in Buenos Aires zu verbringen, wo sie fürs Publikum ausgestellt wurden. Später, verstorben, konnten sie präpariert in Vitrinen besichtigt werden. Eine Horde argentinischer „Rassenforscher“, animiert vom Museumsdirektor Francisco P. Moreno, widmete, ganz im Trend der Zeit, diesen lebenden Eingeborenen und später ihren sterblichen Resten als Exemplare einer „minderwertigen Rasse“ rassistische Studien.

Über hundert Jahre wurde über diesen argentinischen Völkermord geschwiegen. Erst nach dem Ende der letzten argentinischen Militärdiktatur gibt es vorsichtige Ansätze zur Aufarbeitung dieser Verbrechen. Vielleicht fällt ja Papst Franziskus auch zu diesem Thema noch etwas ein.

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