Zum verreckten Hund

Tschechien Die Kneipenwirte wollen bei der Wahl im Herbst mit einer eigenen Partei antreten
Ausgabe 09/2021
Um ein halbwegs normales Kneipenleben zu ermöglichen, werden die tschechischen Wirte kreativ. Hier eine Szene aus dem Oktober 2020 in Prag
Um ein halbwegs normales Kneipenleben zu ermöglichen, werden die tschechischen Wirte kreativ. Hier eine Szene aus dem Oktober 2020 in Prag

Foto: Gabriel Kuchta/Getty Images

Letzten Dienstag – so fangen derzeit Abenteuergeschichten an – ging ich in Tschechien auf einen Kaffee. Das Land führt zum dritten Mal in diesem Winter die Infektionstabellen an, Sieben-Tages-Inzidenz über 600, dritter Platz weltweit bei den Corona-Toten, gemessen an der Gesamtbevölkerung.

Eine Mehrheit misstraut dem „Antiepidemischen System“ (PES) des regierenden Oligarchen Andrej Babiš, fast jeder Zweite würde auch mit Covid-Symptomen die Quarantäne missachten, Ungehorsam grassiert. Einige Lokale haben trotz des Lockdowns geöffnet. PES bedeutet auch „Hund“, darum nennen die Wirte ihre Bewegung, die zu den Wahlen im Herbst antreten will, „Chcípl PES“ (Der Hund ist verreckt).

Letzten Dienstag – 15.672 Neuinfektionen – fuhr ich ins nächstgelegene Protestcafé, in die Plattenbausiedlung der Grenzstadt Břeclav. Bei laufendem Motor fragte ich zwei Polizisten: „Wo ist hier das Café Katy?“ – „Das wissen wir nicht, mein Herr.“ In Wahrheit beobachtet die Polizei das Café fast durchgehend und kontrolliert die Ausweise von Gästen, die seither auf Strafen warten. „Chcípl PES“ hoffte, die Lockdown-Ausnahme für politische Tätigkeit würde das Café schützen – das Gegenteil war der Fall. Nun gehen nur noch wenige Mutige ins Café Katy, Rentner sind nicht darunter.

Bei Strafe zusperren

Katy und ihr Mann Jiří Hanuš trugen enge, schwarze, muskelbetonende Kleidung. Jiří, der nebenan in Österreich als Klempner arbeitet, kam von der Arbeit. Sie hatten hier Eis und Wein verkauft, kurz vor Corona wurde der Umbau zum Café fertig, verdienen konnten sie nur von Juni bis Oktober. Vom Staat bekamen sie „keine Krone“. Sie hätten Anspruch auf den Ersatz der halben Miete. „Das haben wir probiert und aufgegeben, zu kompliziert.“ In Österreich und Deutschland habe sich der Staat „die Wirte gekauft, bei einer solchen Entschädigung würden die Leute auch hier still in der Furche marschieren“. Zwei seiner Bekannten, sagte Jiří, hätten Selbstmord begangen.

Covid, für Katy eine „unberechenbare Krankheit“, hatten sie hinter sich. Sie war acht Tage ohne Geruchs- und Geschmackssinn, er sechs. Jiří sprach sich für natürliche Immunisierung aus, „hier geht’s schon dem Ende zu, 90 Prozent in meinem Umfeld hatten’s schon.“ Ich fragte: „Warum gibt es gerade in Tschechien dauernd so hohe Infektionszahlen?“ Antwort Katy: „Weil die Leute den Respekt vor der Regierung verloren haben.“ Im Übrigen halte sie die Zahlen für „künstlich produziert“ und bezweifle, dass es symptomfrei Infizierte gäbe, „das sind falsch Positive“. Ein noch muskulöserer Gast erklärte: „Es gibt nicht so viele Infektionen, es gibt so viele kranke Politiker.“ Jiří sagte: „Babiš kommt der Ausnahmezustand entgegen, seine Firmen laufen.“ Er kündigte an: „Wenn das Pandemiegesetz durchgeht, das die Strafe für uns auf drei bis vier Millionen Kronen erhöht, sperren wir sofort zu.“

Spät, wegen meiner Anwesenheit ungewöhnlich spät, kam die Polizei. „Vier Polizisten im Café!“, höhnte Jiří. „Es waren auch schon mal zwölf.“ Er saß da, ein freier hochgewachsener Tscheche mit einem großen Bier, und rief laut: „Sie belästigen mich in meinem Wohnzimmer.“ Ihm gegenüber stand ein kleiner, grauer Polizist. So ähnlich geht das jeden Abend. Zur Beweissicherung filmten sie einander. Das war Aufbegehren und Repression, vor allem aber war es: lächerlich. Ich brach auf.

Hundert Meter weiter kontrollierten dieselben Polizisten erneut meine Papiere. In erster Linie schienen sie sich zu vergewissern, ob sie meine Daten im Café korrekt abgeschrieben hatten. Ihre Ratlosigkeit war reizend, sie erkannten nicht einmal einen Personalausweis des fünf Fahrminuten entfernten Landes. Kurz darauf zeigte ich einem österreichischen Rekruten einen Strauß anderer Papiere und war in Österreich zurück. Letzten Dienstag hatte ich erstmals den Gedanken, dass mir diese hirnrissige Epoche vielleicht einmal fehlen wird. Man wird nicht immer so leicht an ein Abenteuer in Břeclav kommen.

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