"Kurs halten", "besser vermitteln", "vor einer schwarzen Republik warnen" - obwohl die SPD-Führung mit dieser Strategie nach neun Niederlagen bei Landtagswahlen und nach dem Ende einer 39-jährigen sozialdemokratischen Epoche in Nordrhein-Westfalen gescheitert ist, soll der politische Amoklauf noch bis zu den Neuwahlen im Herbst durchgehalten werden. Die Pawlowschen Reflexe der Geschlossenheit, auf die Schröder mit seinem Überraschungs-Coup wohl spekuliert hat, funktionieren in der SPD aber offenbar nicht mehr so unwillkürlich wie früher. Der letzte Strohhalm für viele Sozialdemokraten, keineswegs nur der Linken in der SPD, ist jetzt noch das "Wahlmanifest". Was soll aber die darin versprochene Abgrenzung zwischen "Kapitalismus pur" und "sozialer Marktwirt
irtschaft" an neuem Aufbruch bringen, wenn der Kanzler schon vorab trotzig ankündigt: "Ich werde mit ganzer Kraft dafür kämpfen, diesen (meinen) Weg zum Wohle der Menschen in unserem Land fortzusetzen."Mit Sozialrhetorik oder folgenloser Kapitalismuskritik lassen sich die von der SPD Enttäuschten nicht mehr zurückgewinnen, selbst Münteferings verbale Paukenschläge verhallen wie Theaterdonner. Ein paar kleine Nachbesserungen bei Hartz IV oder die Andeutung, die Großvermögen steuerlich stärker heranziehen zu wollen oder die unausgegorene Ankündigung einer Bürgerversicherung werden kaum neues Vertrauen schaffen. Gegen den "Kapitalismus pur" könnte die SPD nur dann erfolgreich zu Felde ziehen, wenn sie eine glaubwürdige Reformalternative statt nur Reformvarianten bieten könnte. So lange es beim "eingeschlagenen Weg" bleibt und der Unterschied nur zwischen einem "Weiter so" und einem "Noch weiter so" besteht, wobei "alles Weitere" auch in Zukunft im inzwischen schwarz beherrschten Bundesrat geregelt wird - kann die SPD die links liegen gelassenen Wähler kaum wieder zum Mitmarschieren ermuntern.Schröders "Befreiungsschlag" ist der Versuch, eine persönliche Niederlage abzuwenden und die ganze SPD in Haftung zu nehmen, die er damit absehbar in eine ihrer schlimmsten Wahlniederlagen in der Nachkriegsgeschichte schickt. Und weil sich ins kollektive Gedächtnis eingraben wird, dass es die SPD selbst war, die das Tor für die neokonservative Machtübernahme aufgestoßen hat, dürfte sie sich davon über viele Jahre nicht wieder erholen.Wäre ich Abgeordneter der SPD und würden mir meine Partei und vor allem meine Wähler am Herzen liegen, so würde ich alles daran setzen, diesem Hasardspiel von Schröder ein Ende zu setzen. Ich würde - sollte der Bundespräsident bei seinem rechtlichen Prüfermessen dem politischen Druck nachgeben - selbst einen Gang zum Bundesverfassungsgericht nicht scheuen, um das mir übertragene Mandat für den Rest der Legislaturperiode wahrnehmen zu können. Ich würde die Zeit bis zur ordentlichen Neuwahl - ob mit oder ohne Gerhard Schröder - nutzen, die SPD auf einen besseren Kurs zu lenken.Ich würde bekennen, dass ich den Bruch der Wahlversprechen unter allergrößten Bauchschmerzen und unter Aufbringung einer nahezu selbstverleugnenden Disziplin mitgetragen habe. Ich würde eingestehen, dass auch ich mich dem Druck der Regierung und der sie erpressenden Wirtschaft und dem Strom der veröffentlichten Meinung bisher nicht entgegen zu stemmen wagte, dass aber mit der immer deutlicher werdenden Erfolglosigkeit der Agenda-Politik die Grenze der Zumutbarkeit nicht nur für mich persönlich, sondern vor allem auch für die sozialdemokratische Wählerschaft erreicht ist. Ich würde alles tun, damit die SPD wieder zur Besinnung kommt und das mutwillig aufgekündigte Bündnis zwischen denen, die Solidarität brauchen, und denjenigen, die - um des inneren Zusammenhalts der Gesellschaft willen - bereit sind Solidarität zu geben, wieder zu knüpfen versucht.Ich würde deutlich machen, dass die SPD die Regierungspartei und eben nicht nur Partei einer von absahnenden "Experten" falsch beratenen Regierung ist. Ich würde mich gegen eine Politik wehren, die das Pferd vom Schwanz aufzäumt und Arbeitslose bekämpft statt die Ursachen der Arbeitslosigkeit. Ich würde belegen, dass es zu dem angeblich alternativlosen angebotsorientierten Wirtschaftsdogma durchaus Alternativen gibt, die die Gleichberechtigung der Interessen von Kapital und Arbeit gewährleisten. Als erstes würde ich die Bergers und McKinseys aus dem Tempel jagen.Ich würde mich von dem Irrweg abwenden, dass man allein durch Sparen bei gleichzeitigen Steuersenkungen die Schulden der öffentlichen Haushalte abbauen könne. Ich würde die Zwänge der Globalisierung und des internationalen Wettbewerbs nicht bestreiten, aber gleichzeitig im Sinne Willy Brandts eine konkrete Utopie entwickeln, wie man Steuer-, Sozial- und Umweltdumping zunächst auf europäischer und später auch auf globaler Ebene wieder politisch in den Griff bekommen könnte. Ich würde für den aktiven und gestaltenden Staat eintreten, der den Menschen wieder Mut und Zuversicht gibt, statt sich nur passiv einer angeblichen Sachzwanglogik zu unterwerfen.Selbst die abermalige Legendenbildung, der Kanzler sei von seiner eigenen Partei im Stich gelassen worden, würde mich nicht schrecken. Ich könnte dagegen halten, dass die Sozialdemokratie, statt von Schröder ihrer Identität beraubt und im neoliberalen Strudel versenkt zu werden, als starke politische Kraft erhalten bliebe, die den Interessen der unteren Hälfte unserer Gesellschaft verpflichtet wäre.Wolfgang Lieb ist seit mehr als 40 Jahren Mitglied der SPD. Er war in Nordrhein-Westfalen Regierungssprecher von Ministerpräsident Johannes Rau und später Staatssekretär im Wissenschaftsministerium. Gemeinsam mit Albrecht Müller, Autor des Bestsellers Die Reformlüge, betreibt er die viel beachtete Internetseite www.nachdenkseiten.de