Dieses Land hat klar zum Ausdruck gebracht, was es will: Einfach in Ruhe gelassen werden. Die Mehrheit seiner Bürger möchte ein friedliches, bürgerliches Leben. Zur Hölle mit all den quälenden Problemen, die der Arabische Frühling noch quälender macht. Der Liberale Yair Lapid – er kam mit seiner Formation Jesch Atid (Zukunftspartei) bei der Knesset-Wahl am 22. Januar auf 19 Mandate und landete auf Rang zwei – verkörpert diesen Anspruch. Er verkörpert ihn besser als alle aktiven Politiker Israels. Er sieht gut aus und ist gut gekleidet, wortgewandt und standesgemäß verheiratet. Er wohnt in der richtigen Gegend und fährt den richtigen Jeep. Wenn er redet, sagt er nicht viel. Er ist kein Extremist. Gott bewahre, so sind w
d wir Israelis nie. Seine Hand für etwas ins Feuer legen, das vermeidet er lieber. Von kontroversen Themen hält er sich fern, wie das die meisten Israelis gern tun. Seine Gewinne bei der Wahl deuten auf einen Generationswechsel, wie ihn auf der ultrarechten Seite auch Naftali Bennett symbolisiert. Doch kam dieser Aufsteiger statt der prophezeiten 16 nur auf 11 Sitze in der Knesset. Es hat sich nämlich herausgestellt, dass seine Partei HaBajit HaJehudi (Jüdisches Haus) nicht mehr und nicht weniger darstellt als eine zweite Shas, die Partei der Ultraorthodoxen.In der Woche nach dem Urnengang mussten wir uns darüber bewusst werden, dass mit Lapid ein offenkundig apolitischer Kandidat zum Gewinner einer Abstimmung wurde, die so offenkundig apolitisch war wie nie zuvor in Israel. Ein Kolumnist und Fernsehmoderator, der sich in seiner wöchentlichen TV-Sendung selten Politik gönnt, ist plötzlich in die Politik gewechselt. Yair Lapids Botschaften bestehen aus Plattitüden, die niemanden aufregen. Dennoch ist er zum Kronprinzen gesalbt. Bis auf Weiteres wird ihn an Bedeutung nur König Bibi (Netanjahu) übertreffen, der sich mit den Resten seines gerade noch regierungsfähigen Rechtsblocks als beinahe nackt erweist. Gäbe es keine Allianz mit der Partei Israel Beitenu von Ex-Außenminister Avigdor Lieberman, wäre es fraglich, ob der Likud überhaupt noch als größte Fraktion in der Knesset säße.Der reine EskapismusSo hat Yair Lapid in der israelischen Politik eine Macht erlangt, mit der er nicht gerechnet haben dürfte und mit der er möglicherweise nichts anzufangen weiß. Er müsste sie mit Inhalt füllen. Darauf zu hoffen, sollte nicht vergeblich sein. Immerhin hat Lapid bei den ersten Auftritten nach der Wahl jene manierierten Gebaren abgelegt, wie er sie gewöhnlich im Fernsehen zeigt. Er wirkte gereift – nicht auszuschließen, dass er in die Rolle hineinwächst, mit der er von seinen Anhängern betraut wurde. Vielleicht reizt ihn die Macht zum Kampf.Selbst als die Menschen im magischen Sommer 2011 auf die Straße gingen, hatten die Proteste bei aller nachvollziehbaren Empörung – im Nachhinein betrachtet – keine wirkliche Substanz. Lapid passt zu diesen Empörern. Der seinerzeit ohne klare politische Agenda auf den Straßen Tel Avivs vorgetragene Protestgesang „Lasst uns in Frieden leben“ war bei den Wahlen 1951 Slogan der Allgemeinen Zionistischen Partei. So lautet weiter das Motto vieler Israelis: „Lasst uns hier leben – ohne Araber und ohne die Charedim (die Ultraorthodoxen – die Red.), ohne Kriege und ohne Terror, ohne die Welt und ihre Predigten!“ Heute wie damals ist das der reine Eskapismus.Es passt zu dieser Lähmung der Politik, wenn die anstehende Legislaturperiode nun von einem Patt zwischen Mitte-Rechts und Mitte-Links beherrscht wird (sofern es sich dabei in Israel überhaupt um korrekte Begriffe handelt). Den Ambitionen von Shelly Yachimovich, der Vorsitzenden der Arbeitspartei, sich als linke Alternative gegenüber Netanjahu zu etablieren, wurde nur sehr zögerlich eine Zusage erteilt. Sie kam eher einem „Nein“ gleich. Die Fraktion wird zu Yachimovichs Schande noch nicht einmal die zweitgrößte in der Knesset sein. Zehren wollte die Partei von den Sozialprotesten sowie den vielen konformistischen Wählern. Gescheitert ist sie an einer fürchterlich ungeschickten Handbewegung, mit der die Besatzung in der Westbank unter den Teppich gekehrt wurde. Das hat ihr letztlich nicht geholfen. Was der Arbeitspartei an linken Stimmen fehlte, dürfte eine aufstrebende Partei wie Meretz auf sich vereint haben, die ihre Knesset-Präsenz von drei auf sechs Mandate verdoppeln konnte. Das sollte Politiker ermutigen, die wirklich Frieden wünschen und ihn durch einen fairen Vergleich mit den Palästinensern zu finden hoffen. Für uns beginnt ein neuer Tag, an dem Israel in Ruhe gelassen werden will. Gewährt dem Land diese Entspannung! Es ist die schreckliche Ruhe am Rande des Abgrunds.