Am 10. Januar 2007 war es soweit, nach drei Niederlagen hintereinander konnte Daniel Ortega erneut als Präsident Nicaraguas vereidigt werden. Während des ersten halben Jahres im Amt vermochte der Comandante manches von dem zu erfüllen, was er im Wahlkampf versprach, anderes blieb er schuldig - der in Deutschland lebende nicaraguanische Schriftsteller Carlos Alberto Ampié zieht ein durchwachsenes, aber nicht hoffnungsloses Fazit.
Es waren etliche Staatschefs aus Lateinamerika sowie das Diplomatische Korps, die am Tag der Amtseinführung voller Spannung auf die erste offizielle Rede des neuen nicaraguanischen Präsidenten warteten. Doch sie mussten sich gedulden, zunächst einmal zelebrierte der beleibte Ex-Präsident und Häftling Arnoldo Alemán Hand in Hand mit seiner First Lady einen triumphalen Auftritt. Alle Kameras richteten ihre Objektive auf die glücklich lächelnden Mondgesichter des illustren Paares, ungläubige Reporter stürzten hervor und baten um ein Wort der Erklärung, das der wegen Korruption rechtskräftig verurteilte und unter Hausarrest stehende Alemán gern geben mochte: Er sei vom Organisationskomitee des Präsidenten regulär eingeladen - mehr gebe es nicht zu sagen.
Damit war der Höhepunkt der Zeremonie fast schon erreicht, denn auf einen offiziellen Vortrag Ortegas warteten die versammelten Honoratioren hernach vergebens. Der Comandante nahm die Präsidentenschärpe entgegen und verabschiedete sich mit den Worten, sein Volk warte auf ihn, er gehe zu ihm - es habe sich diese Bevorzugung verdient, es habe ihn schließlich gewählt. Nach dieser Offenbarung fühlte man sich über etwaige Regierungspläne nicht sonderlich aufgeklärt, aber ein paar Wochen später nannte besagter Arnoldo Alemán Ortegas Regierungsleistung bereits ein "wunderschönes Projekt", während Politologen einwandten, da wisse der Ex-Präsident offenkundig mehr als die Medien und das Volk, denn über ein Programm Ortegas sei bislang nichts bekannt.
Nächste Frage bitte!
Wie auch immer, mit dem rechten Fuß ist der Sandinismus am 10. Januar 2007 wohl nicht aufgestanden. Mit seinen ersten, nicht unbedingt verfassungskonformen Entscheidungen zog Daniel Ortega viel Missbilligung bis hin zum Parlament auf sich und musste politische Niederlagen einstecken. So dürfen die von ihm ins Leben gerufenen "Räte des Volkes" entgegen seinem Wunsch nur beratende Funktionen beanspruchen und nicht Ministerien gleichgestellt werden. Auch sollten die Vorsitzenden dieser Räte - so ist es von der Nationalversammlung beschlossen - ihre Mission ehrenamtlich ausüben und auf das von Ortega erwogene Honorar aus der Staatskasse verzichten.
Gegen die Ernennung von Ehefrau Rosario Murillo zur Regierungssprecherin, zur Vorsitzenden des Rates für Kommunikation und Bürgerangelegenheiten und zur Koordinatorin aller Volksräte läuft noch ein von mehreren Parteien erhobener juristischer Einspruch, da es laut Verfassung untersagt ist, Regierungsämter durch Personen zu besetzen, die mit dem Präsidenten blutsverwandt sind oder in enger familiärer Beziehung stehen. Ihr Amt übt die First Lady trotz aller Interventionen unbeeindruckt aus, Aussicht auf Erfolg haben die gegen sie gerichteten Klagen kaum.
Ohnehin gilt Ortegas Verhältnis zu den vorwiegend privaten Medien Nicaraguas als belastet, so dass außer Frau Rosario - ihres extravaganten Aussehens wegen zuweilen "die Wahrsagerin" genannt - kein Mitarbeiter des Präsidenten zu offiziellen Statements autorisiert ist. Wenn in den ersten sechs Monaten der sandinistischen Regierung mehrere Minister ihren Posten verloren, dann auch wegen dieses strengen Verdikts. Allein das Nationale Kulturinstitut sah seit Januar drei Direktoren kommen und gehen. In Managua kursiert derzeit folgender Witz: Daniel Ortega gibt endlich seine erste Pressekonferenz, neben sich die First Lady. Auf eine Frage an den Präsidenten, ob denn nun er oder seine Gattin regiere, ergreift Frau Rosario das Wort und antwortet: "Er hat euch doch schon oft genug erklärt, dass er das Sagen hat. Nächste Frage, bitte!"
Natürlich gehörten zu Ortegas ersten Amtshandlungen auch Dekrete, die an die besten Tage der Sandinistischen Volksrevolution erinnern und die Armen auf eine bessere Zukunft hoffen lassen: Es gibt in Nicaragua wieder eine Schulpflicht, das Recht, sie kostenlos in Anspruch zu nehmen, und eine unentgeltliche medizinische Versorgung. Auch die Lehrer erhalten inzwischen deutlich mehr Gehalt. Allerdings sollte dabei nicht in Vergessenheit geraten, was es zuvor an Rückschlägen gab.
Um bei den Präsidentschaftswahlen Ende 2006 zu triumphieren, hatte Ortega den Widerstand der katholischen Kirche brechen müssen, des Erzfeindes der Sandinisten in den Revolutionsjahren nach 1979. Folglich ging es besonders um die Gunst von Kardinal Obando y Bravo, als Ende Oktober 2006 auch die sandinistische Fraktion im Nationalparlament einmütig für die komplette Abschaffung der "gotteslästerlichen" therapeutischen Abtreibung stimmte, die bis dahin das Leben von Frauen bei lebensgefährlichen Schwangerschaften schützen sollte. Bis zu acht Jahren Haft drohen heute Ärzten, die das "ungeborene Leben" in Gefahr bringen. Der Jubel über diese Gesetzesnovelle war groß unter den Schafen des Herrn. Kardinal Obando plädierte postwendend - wie Ortega in seinen Wahlslogans - für nationale Versöhnung, Liebe, Arbeit und Frieden, während Frauen- und Menschenrechtsorganisationen beim Obersten Gericht Verfassungsbeschwerde einreichten, um eine Errungenschaft zu retten, der selbst die Somoza-Diktatur nichts anhaben konnte.
Es war vollbracht: Der Comandante empfahl sein Schicksal dem göttlichen Willen und der mexikanischen Jungfrau von Guadelupe und durfte zuversichtlich sein, den süßen Kelch des Sieges bis zur Neige leeren zu können. Seit in den achtziger Jahren die nicaraguanische Jungfrau Maria angeblich dem Küster eines gottverlassenen Dorfes erschienen war und sich für militant antisandinistisch erklärte, hatte der Comandante eher gestörte Beziehungen zum hohen Klerus unterhalten.
Guter Hirte seiner treuen Schafe
Auf jeden Fall will Ortega das Land in den nächsten fünf Jahren aus den Klauen des Internationalen Währungsfonds (IWF) befreit haben, was einigermaßen illusorisch scheint. Gerade erklärte sich die Gesandte der Weltbank in Nicaragua bereit, den Präsidenten bei seinem Programm Hambre Cero (Null Hunger) mit 50 Millionen Dollar zu unterstützen. Anerkennung verdient in diesem Zusammenhang, dass in der jetzigen Regierung niemand mehr als 3.000 Dollar verdienen darf - der Präsident selbst setzte sein Gehalt auf 3.500 Dollar fest, das seines Vizepräsidenten Jaime Morales auf 3.250.
Dora Maria Tellez, einst sandinistische Gesundheitsministerin, heute Mitglied der oppositionellen Sandinistischen Erneuerungsbewegung (MRS), meint, Ortega verfolge keine sehr konsistente Politik, im Vordergrund stehe offenbar die internationale Profilierung als antiimperialistischer Held ungeachtet der realen Probleme des Landes. Es gebe einen überzogenen Populismus, gleichzeitig falle ihr auf, wie eine im Aufstieg begriffene sandinistische Bourgeoisie aus der Macht heraus ihre Position zu stärken suche. Tellez spricht das konfliktbeladene Verhältnis zu den privaten Medien an, man würde sie am liebsten so behandeln, wie es in Venezuela Hugo Chávez mit dem regierungskritischen Kanal Radio Caracas Televisión (RCTV) vorexerziert habe, dessen Schließung die Regierung Ortega euphorisch feierte. Außenminister Samuel Santos meinte gar, die eigene rechte Presse solle Gott dafür danken, dass es in den achtziger Jahren während des Kampfes gegen die von den USA ausgehaltenen Contra-Rebellen in Nicaragua keine Todesstrafe wegen Hochverrats gab. Sonst hätten einige ihre Verwegenheit teuer bezahlt.
Soviel steht fest: Auf die Dauer werden sich der Comandante und eine familiär angehauchte Regierung gegen die oppositionelle Mehrheit im Parlament (s. Übersicht) nicht behaupten. Ortega wird sich gezwungen sehen, seine politische Agenda neu zu durchdenken, was für alle Beteiligten fruchtbringend sein kann. Ebenso wenig ist freilich auszuschließen, dass er als guter Hirte seine treuen Schafe, die ihm bei jeder Wahl bis zu 30 Prozent der Stimmen garantieren, mit sozialen Projekten versorgt, im Parlament Unruhe stiftet und seine Gegner gegeneinander ausspielt. Als lachender Dritter könnte Ortega die nötigen Stimmen aus der Opposition gewinnen, um eine Verfassunggebende Versammlung einzuberufen, die es ihm mit ein wenig Glück und Geschick erlauben sollte, die Befugnisse des Präsidenten aufzustocken und vieles von dem durchzusetzen, was ihm vorschweben mag. Aber noch ist es nicht soweit, am politischen Himmel Nicaraguas stauen sich dunkle Wolken - die von den Sandinisten angekündigte Morgenröte steht noch aus. Wegen der steigenden Ölpreise, eines defizitären Staatshaushalts, aber auch der Weigerung von EU und IWF, Managua Hilfe zu gewähren, solange kein klares Regierungsprogramm vorliegt, müssen die Nicaraguaner seit Monaten täglich bis zu zwölf Stunden Stromausfall ertragen.
Das letzte Wort für die neue Ära Ortega ist noch nicht gefallen. Es bleibt zu hoffen, dass es nicht die Präsidentengattin spricht.
Nicaraguas Nationalversammlung
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