Warum habe ich sie nicht interviewt? Es gibt so vieles, was ich wissen möchte, aus ihrem Journalistinnen-Leben (als Ehefrau und Mutter zweiter Söhne) in der DDR und seit der Wende; und von ihren Einschätzungen dieses Lebens. Nicht genug gefragt zu haben, ist nicht die geringste der westdeutschen Sünden der vergangenen zehn Jahre. Vielleicht kann ich in diesem Fall das Interview noch nachholen: "Zur Person Regina General"; wenn nicht fürs Fernsehen, so doch für mich.
Die resolut wirkende Frau, von der ich argwöhne, dass sie leicht zu verletzen ist und sich dagegen zu schützen versucht, verlässt nun der Rente wegen die Redaktion des Freitag. Sie wird dem Blatt sehr fehlen. Meine Absicht ist, sie künftig möglichst oft zum Abendessen auszuf
sen auszuführen, dabei viel zu fragen und beim Dessert die wechselnde Qualität des Freitag (immer ziemlich hoch, aber manchmal etwas weniger hoch) mit ihr durchzuhecheln -, so wie es nur erfahrene Liebhaber der "Ost-West-Wochenzeitung" tun können. Freilich wird Regina General eher zurückhaltend sein. Sie ist loyal; und zu meinem Bedauern fehlt ihr auch die wahre Leidenschaft für Klatsch.Was wäre meine erste Frage gewesen, wenn ich das Interview mit der "Generalin", wie ich sie gern nenne (eine Macho-Allüre?), geführt hätte? Vielleicht diese: "Was hat Sie am nachhaltigsten irritiert an uns Westdeutschen, nun da Sie uns mit den Jahren aus der Nähe kennengelernt haben? Ich frage nicht nach den Besser-Wessis, die wenig mehr als selbstgerecht sind, sondern nach den etwas differenzierteren Landsleuten aus der alten Bundesrepublik. Was hat Sie, Frau General, an diesen am nachhaltigsten irritiert?"Regina General ist, soweit ich weiß, ich habe noch nicht gefragt, nach dem Studium Redakteurin beim Sonntag geworden. Bei diesem hoch bemerkenswerten Blatt also, das mir gekennzeichnet gewesen zu sein scheint durch gelegentliche Abweichung bei andauernder Überzeugungstreue. (Mindestens in einem Falle hatte die Abweichung sehr böse Konsequenzen.) Auch nach dieser - vom sicheren westlichen Gestade aus vorgenommenen - Charakterisierung muss ich die Generalin befragen. Den Freitag würde es ohne seinen östlichen Vorgänger Sonntag - es gibt auch einen westlichen - womöglich gar nicht geben. Und daran, dass er existiert, hat Regina General wesentlich mitgewirkt.Was hätte diese ost-erfahrene und inzwischen durchaus auch west-kundige Frau auf meine Frage wohl geantwortet? Ich biete diese Antwort an: "Die Fähigkeit, zynisch zu sein oder sich doch so zu geben, bei gleichzeitiger Unfähigkeit - jedenfalls in der Regel -, über die eigenen Gewissheiten nachzudenken im Lichte der Erfahrungen, die wir mit unseren Gewissheiten gemacht haben. Zynismus und die Freiheit von grundsätzlichen Zweifeln unter einem Hut - das ist manchmal schon nachhaltig komisch."Na, Generalin? Übernehmen Sie die Antwort? Sie ist mir als gut möglich in den Sinn gekommen, weil Regina General in einem Gespräch zu zweit dann und wann Beobachtungen, die sich zu widersprechen scheinen, zu Schlussfolgerungen von bemerkenswerter Einsicht zusammenfügt.Auf Redaktionskonferenzen ist das manchmal anders. Nach meinem Eindruck kann Regina General bei solchen Zusammenkünften im Widerspruch schroffer, unverbindlicher und weniger differenziert sein als bei Diskussionen im kleineren Kreis. Warum das so ist? Ich weiß es nicht. Ich muss sie danach fragen. Niemals, übrigens, habe ich die Generalin als nachtragend erlebt.Hier ist nicht der Ort, auszubreiten, wie stark mich Redaktionskonferenzen des Freitag faszinieren können. Ist bei Argumenten noch heraus zuhören, ob ihre Verfechter im Osten oder im Westen aufgewachsen und erzogen worden sind? Herkunft und Verhalten: Natürlich hat sich mit der Zeit manches abgeschliffen und angeglichen. Aber ist Regina Generals gelegentliche Schroffheit (die ich niemals als verletzend empfunden habe) womöglich die Folge eines Vorsatzes, keinerlei Zweifel aufkommen zu lassen über ihre Position in einer Sache? Eines Vorsatzes aus welcher Zeit - und als Konsequenz einer insgeheimen Selbstkritik?Dabei fühle ich mich ganz sicher, dass die Generalin derlei nicht nötig hat. Aber was weiß ich von ihren etwaigen nachträglichen Anpassungsskrupeln und sie von meinen? Der Gesprächsstoff bei unseren künftigen Abendessen wird uns nicht ausgehen.Gute oder wenigstens einigermaßen gute Autoren gibt es unter den Journalisten gar nicht so wenige; Regina General ist nicht nur einigermaßen gut, wenn sie einmal schreibt. Aber Redakteurinnen und Redakteure, die einen angemessenen Umgang mit Autoren und ihren Manuskripten führen können - also einfühlsam, laut lobend und leise kritisch, aber auf jeden Fall unnachgiebig - sind selten und nicht mit Gold aufzuwiegen (weshalb es der Verlag auch niemals versucht). Regina General ist nach meiner Erfahrung eine Redakteurin von höchster Professionalität. Sie bleibt gelassen, wenn der Redaktionsschluss heranrückt; sie kann Texte "schütteln", wie sie sagt, damit sie auf den vorgesehenen Platz passen (oder genieße ich damit ein Privileg?). Und zwischendurch führt sie ein Telefoninterview, das, von ihr redigiert, auch noch in die nächste Nummer kommt. Ich habe sie nicht nur Generalin, sondern dann und wann auch "Mutter Courage" genannt.