Am 30. Juli stehen in der Demokratischen Republik Kongo Wahlen an. Sie werden über die künftige Regierung entscheiden und darüber, ob sich ein dauerhafter Frieden etablieren kann. Damit verbunden ist auch das Schicksal der Bürgerkriegsflüchtlinge: Rund 360.000 Menschen harren in den Nachbarländern ihrer Rückkehr, weitere 500.000 sind innerhalb des Landes auf der Flucht. Gegenwärtig kommt es im Osten des Kongo erneut zu massiven Vertreibungen der ortsansässigen Bevölkerung. Betroffen ist eine Region, die fast 2.000 Kilometer in der Nord-Süd-Ausdehnung misst. Sie umfasst Ituri im Nordosten, die zentral östlich gelegenen Provinzen Nord- und Südkivu und Katanga im Südosten. Dort wie auch in der Hauptstadt Kinshasa zeigt seit geraumer Zeit das Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen (UNHCR) Präsenz.
FREITAG: Wie stellt sich die Situation der Flüchtlinge und Binnenvertriebenen im Kongo gegenwärtig dar?
JENS HESEMANN: In Ituri toben momentan Kämpfe zwischen der Regierungsarmee und Milizen. Dadurch wurden allein in jüngster Zeit 55.000 Menschen vertrieben. Die Milizen haben in der Vergangenheit die lokale Bevölkerung unterdrückt. Andererseits befürchten wir, dass auch die Regierungssoldaten Übergriffe begehen könnten, sei es aufgrund mangelnder Ausbildung und Disziplin, sei es, weil sie schlecht bezahlt werden.
Wie muss man sich die Vertreibungen dort vorstellen?
Es handelt sich zuweilen um eine temporäre Angelegenheit, die Leute kehren nach wenigen Tagen oder Wochen zurück, werden dann aber oft erneut verjagt. Ich habe mit Menschen in Ituri gesprochen, die schon fünf oder sechs Mal vertrieben worden sind.
Hat sich die Regierung Kabila der Flüchtlinge angenommen?
Dafür fehlt es ihr schlicht an den nötigen Kapazitäten. Das beginnt bei den regulären öffentlichen Versorgungsdiensten: Strom, Wasser, Sozialdienste, all das existiert nicht in der Form, wie man es aus anderen Ländern gewohnt ist. Deshalb übernehmen NGOs und UN-Organisationen die Hilfe für Vertriebene und andere Menschen in Notsituationen. Wir wollen dabei nicht die staatlichen Sozialleistungen ersetzen, sondern das Nötige tun, um Menschen das Leben zu retten.
Können die Flüchtlinge überhaupt an den Wahlen teilnehmen?
Das kann ich Ihnen schwer beantworten. Sicher ist, die Wählerregistrierung endete im Herbst vergangenen Jahres. Wer damals nicht erfasst wurde, kann seine Stimme jetzt nicht abgeben. Wer hingegen erst danach vertrieben wurde und zurückkehren kann, darf theoretisch am Urnengang teilnehmen.
Können die Wahlen an der Situation der Flüchtlinge etwas ändern?
Der Urnengang könnte eine Stabilisierung bewirken, weil die Menschen Vertrauen schöpfen und in ihre Ursprungsgebiete zurückkehren. Die Frage ist, wie kann die Regierung nach dem Votum das Land festigen und der Bevölkerung helfen, die sich in einer akuten Krise befindet? Wird sie es schaffen, normale öffentliche Versorgungsdienste zu leisten?
Wie bewerten Sie den westlichen Blick auf den Kongo?
Das Land wird oft allein auf Instabilität und Bürgerkrieg reduziert. Manche denken vielleicht sogar an Völkermord, schließlich ist Ruanda ein Nachbarland. Das heißt, der Kongo wird als Synonym für eine endlose Staatskrise gesehen. Dass das Interesse ermüdet, weil sich offenbar ohnehin nichts ändert, liegt auf der Hand. Tatsächlich hat sich hier einiges verbessert, vor allem, wenn man die Entwicklung der vergangenen Jahre verfolgt. Insgesamt wird das Land sogar etwas stabiler, mehr Leute gehen zurück in ihre Dörfer. Aktuell kehren sehr viele etwa in den Süd-Kivu und nach Katanga zurück.
Zur einseitigen Wahrnehmung des Kongo trägt zudem bei, dass man sich hauptsächlich auf die Sicherheitslage konzentriert, sei es bei der UNO, sei es jetzt bei der EU-Mission. Das mag berechtigt sein, denn Sicherheit bildet die Voraussetzung für Stabilität. Doch ist die humanitäre Lage dafür nicht minder ausschlaggebend.
Sie sehen dennoch Fortschritte?
Ja, die Rückkehr von Flüchtlingen ist ein Indiz dafür. So konnten seit Ende 2005 60.000 Menschen aus den Nachbarstaaten in den Kongo zurückkehren. In vielen Regionen des Kongo schweigen seit Jahren die Waffen. Auch wenn andererseits weiterhin Menschrechtsverletzungen durch die bestehenden Milizengruppen an der Tagesordnung sind. Ich würde aber auch hier einschränkend sagen: Vielleicht sind wir uns dessen jetzt nur besser bewusst, weil uns bisher die nötigen Informationen nicht zugänglich waren. Wir rechnen damit, nach den Wahlen als Hilfsorganisationen auch Gebiete dieses enormen Landes erreichen zu können, die uns bisher verschlossen blieben.
Das Gespräch führte Steffen Vogel
Was ist Ihre Meinung?
Kommentare einblendenDiskutieren Sie mit.