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BÜNDNIS90/DIE GRÜNEN Steffi Lemke, Bündnis 90/Die Grünen, MdB aus Sachsen-Anhalt, Mitglied des Fraktionsvorstands

FREITAG: Welche Bedeutung hat das Ausscheiden Gunda Röstels aus dem Bundesvorstand für Bündnis 90/Die Grünen im Osten?

STEFFI LEMKE:Wir haben im Osten große Struktur- und Präsenzprobleme. Die Anlaufschwierigkeiten der rot-grünen Bundesregierung haben uns eine Menge Akzeptanz gekostet. Die Probleme von Bündnis 90/Die Grünen lassen sich aber nicht durch eine ostdeutsche Vorstandssprecherin beseitigen. Ich erwarte vom neuen Bundesvorstand, dass er sich intensiv für die Lösung spezifisch ostdeutscher Probleme einsetzt und dafür auch Ideen beisteuert - egal, wo er herkommt.

Gunda Röstel hat der grünen Politik im Osten durchaus ein Gesicht gegeben. Ich finde, sie hat gute Arbeit geleistet, auch wenn ich nicht immer ihre Meinung teile. Die Art und Weise, wie ihr Weggehen von anderen vorangetrieben wurde, war unappetitlich.

Werden Radcke und Röstel weggemobbt, um der Abschaffung von Amt und Mandat den Weg zu bereiten?

Andere aus der Führungsspitze entzogen den beiden die Unterstützung, auch Werner Schulz und Joschka Fischer. Solche Verhältnisse stellen für Parteisprecher generell ein Problem dar, ob nun mit oder ohne Mandat. Die beiden Sprecherinnen wurden von Leuten aus der eigenen Partei öffentlich beschädigt. Für die Parteispitze brauchen wir ein starkes Team, das innere Integration und äußere Profilierung der Partei vorantreiben kann.

Ist das von den Westgrünen in den letzten Jahren verfolgte Profil - neue FDP - überhaupt für den Osten attraktiv?

Dieses neue Profil vertreten bei weitem nicht alle Westgrünen. Auch jene, die den Dachboden entrümpeln wollen, stellen fest, dass es nicht zukunftsfähig macht, Programmpunkte, die ihre Berechtigung hatten und haben, als verstaubt zu erklären. Wählbarer macht das die Grünen im übrigen auch nicht. Im Osten wird die Partei Erfolg haben, die überzeugende Konzepte gegen Arbeitslosigkeit, soziales Auseinanderdriften und Bildungsnotstand präsentieren kann. Das Umweltinteresse hat hier eine andere Gewichtung als im Westen.

Aber Ökologie schafft Arbeitsplätze.

Ja, aber bei regional 40 bis 50 Prozent inoffizieller Arbeitslosigkeit ist es schwer, Interesse für Ökologie pur zu fördern. Es braucht Zeit, bis sich durchsetzt, dass Umweltschutz Arbeitsplätze bringt. Beispiele wie Sket, der größte Maschinenbauer in Magdeburg, der inzwischen Windkraftanlagen baut, verändern den Blickwinkel. Hier hat die frühere Umweltministerin Heidrun Heidecke ein deutliches Zeichen gesetzt, das bleibt in den Köpfen haften. Ökologie war und ist das Kernthema unserer Politik in Ost und West. Es war aber nie das alleinige Projekt dieser Partei. Eine absolute Verengung nur auf das Thema Ökologie hielte ich für falsch.

Wie verlief die Mitgliederentwicklung in den neuen Bundesländern seit der Bundestagswahl?

In Sachsen-Anhalt haben wir noch über 500, in unseren besten Zeiten hatten wir knapp 600. Zehn bis 20 Prozent Verlust haben wir in den neuen Bundesländern insgesamt.

Wie wird die Bundesdelegiertenkonferenz (BDK) im Osten diskutiert?

Innerhalb der Partei sehr intensiv und, was mich sehr freut: Konsequenzen aus dem Parteispendenskandal, Demokratiedefizit und Atomausstieg werden wesentlich interessierter diskutiert als die Strukturreform.

Sie sind Mitunterzeichnerin eines offenen Briefs Ihres Fraktionskollegen Christian Simmert. Darin fordern 133 grüne Mitglieder eine Re-Politisierung der BDK. Was war Anlass und Grund für diesen Brief?

Unser Brief ist eine Reaktion auf den Rundbrief des Bundesvorstands*. Wir wollten klarstellen, dass es bei den beiden Schwerpunktthemen, Atomausstieg und Strukturreform, verschiedene Positionen gibt. Auch innerhalb der Bundestagsfraktion, des Bundes- und der Landesvorstände. Ich halte das Vorgehen des Bundesvorstands nicht für glücklich.

Außerdem nimmt die Strukturreform auf Kosten anderer Themen viel zu viel Raum ein. Die politisch wichtigen Themen sind der Atomausstieg und die Parteiendemokratie. Es war ein Fehler, die Strukturreform zur Nagelprobe für diesen Parteitag zu machen, die Existenzkrise der Grünen anhand dieser Strukturreform herbeizureden. Trennung von Amt und Mandat ist ein wichtiges, aber ein internes Problem, für viele unserer Wähler gar nicht so bedeutend. Außerdem war es ein Fehler von Fischer, die Strukturreform mit einer aktuellen Personaldiskussion zu verbinden. Und dann noch davon die Modernisierungs- und Zukunftsfähigkeit der Grünen abhängig zu machen!

Ist die Aufhebung der Trennung von Amt und Mandat denn angesichts der Kritik allmächtiger Parteispitzen überhaupt vermittelbar?

Bei den Grünen ist eine Stärkung des Bundesvorstands auf jeden Fall notwendig. Aber ist die Aufhebung der Trennung von Amt und Mandat dafür das allein seligmachende Mittel? Die Probleme der bisherigen Sprecher waren doch eher anderer Art: Sie wurden von anderen in Führungspositionen nicht genug unterstützt. Es wurde doch in letzter Zeit gar nicht mehr akzeptiert, dass es Bundesvorstandssprecherinnen gibt.

Wir müssen den Bundesvorstand personell und finanziell stärken, selbst wenn das zu Lasten der Landesverbände geht. Seine Verkleinerung hat sich nicht bewährt. Er muss so stark sein, dass ihm nicht faktisch der Koalitionsausschuss und der Parteirat übergeordnet sind.

Was ist das Mindestmaß beim Atomausstieg, damit er von der Basis überhaupt als solcher anerkannt wird?

Die 30 Jahre maximale Laufzeit, die Jürgen Trittin und die Mehrheit der Bundestagsfraktion im Dezember als Ausstiegsmodell für ein Gesetz vorgestellt haben, sind das Maximale, was die Kreisverbände mittragen könnten. Und ich bin mir nicht sicher, ob sie das tun, vor allem in Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen. Dieses Modell heißt, dass 2018/2019 die letzten AKW in Deutschland vom Netz gingen. Für die Akzeptanz eines Ausstiegsmodells sind auch Fragen wie Zwischenlager, Endlager - insbesondere die beiden Projekte Gorleben und Schacht Konrad - und die Frage nach einer Primärenergiesteuer auf Kernbrennstoffe wichtig.

Gibt es auf der BDK einen Zweikampf zwischen Jürgen Trittin und Joseph Fischer?

Die Grünen lassen sich doch nur in den Medien auf die zwei reduzieren. Jürgen Trittin bemüht sich gerade, was ich für richtig halte, das Thema Atomausstieg an die erste Stelle zu rücken. Die Aufhebung der Trennung von Amt und Mandat ist für viele inzwischen nicht mehr so wichtig. Sie sind von dieser Debatte eher genervt und wollen endlich Fakten beim Atomausstieg sehen. Ich denke daher, es wird weniger ein Zweikampf als ein Streit, welches der beiden Themen für die Grünen Priorität hat.

Das Gespräch führte Stefanie Christmann

* Der Bundesvorstand hatte Anfang März einen Rundbrief verschickt, der im Interesse eines friedlichen Parteitags unterschiedliche Meinungen einebnen wollte.

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