Black Mirror: Bandersnatch – Zurück auf Los

Film Die neueste Folge von „Black Mirror“ überlässt es dem Zuschauer, Entscheidungen zu treffen. Unsere Kolumnistin hofft, dass das Karriere macht
Ausgabe 04/2019
Die Entscheidungen trifft man für den jungen Programmierer Stefan Butler (Fionn Whitehead) (r.)
Die Entscheidungen trifft man für den jungen Programmierer Stefan Butler (Fionn Whitehead) (r.)

Foto: Stuart Hendry/Netflix

Hätte, hätte, Fahrradkette, sagt man bei falschen Entscheidungen. Hätte Stefan Butler (Fionn Whitehead), der junge, traumatisierte Programmierer, sich doch nur entschlossen, sein neues, interaktives Computerspiel Bandersnatch zu Hause fertig zu programmieren. Doch er entscheidet, das Angebot des Games-Entwicklers Tuckersoft anzunehmen und dort im Büro zu arbeiten. Das ändert einiges.

Was genau, soll hier nicht verraten werden. Nur, dass es nicht wirklich Stefan war, der die Entscheidung traf. Denn Bandersnatch, der neueste Teil der britischen Science-Fiction-Reihe Black Mirror, ist quasi selbst ein Computerspiel: Der Zuschauer beziehungsweise die Zuschauerin kann per Mausklick in das Leben des Helden eingreifen. Er oder sie kann wählen, ob Stefan Butlers Vater ihm am Morgen Frosties oder Sugar Puffs in die Schüssel kippt, ob er auf seinem Walkman (die Geschichte spielt 1984) Thompson Twins oder eine Hit-Compilation hört, ob er lieber seine Psychologin trifft oder dem von ihm hochverehrten Programmierer Colin folgt, den er vor der Praxis auf der Straße sieht.

Die Macher von Bandersnatch, Drehbuchautor Charlie Brooker und Regisseur David Slade, haben zweieinhalb Stunden Drehmaterial bei Netflix untergebracht, aufgeteilt in circa 250 Einzelsegmente, die miteinander verwoben sind, die man aber nach einer Entscheidung bis zur nächsten nicht verlassen kann. Manche der Stränge leiten Stefan direkt ins Nichts, manche in die Wiederholung, an deren Ende beim zweiten Mal doch bitte das Richtige angeklickt werden soll. Manche führen zu einem drogeninduzierten Gespräch zwischen Stefan und Colin über alternative Realitäten und Fremdbestimmung – ein Thema, das auch für Stefan immer relevanter wird. Denn er, und das ist die beste Idee dieses an Ideen reichen, verschachtelten Werks, hat zunehmend das dumpfe Gefühl, von außen gelenkt zu werden – was er ja tatsächlich wird. Von uns nämlich, dem entzückten Publikum.

Auch andere Black-Mirror-Folgen verströmten bereits sympathischen Nerd-Geruch – diese hier ist die Mutter aller Nerds. Sie hat damit leider auch genau die gleiche kleine Schwäche, die man bei nerdigen Produktionen immer mal wieder erlebt: Ihr fehlt ein Blick für das Ganze. Zwar ist es eine extrem unterhaltsame Erfahrung, Stefans Handlungen mitzubestimmen, an den gleichen Punkten beim nächsten Mal anders zu entscheiden, herauszufinden, welche Hinweise und kleinen Unterschiede die Macher in den alternativen Zeitleisten versteckten. Doch Bandersnatch krankt daran, dass Charakter- und Atmosphärenentwicklung bei dem Strauß von Entscheidungsmöglichkeiten auf der Strecke bleiben.

Dabei mag man den versponnenen Stefan, mag die hübsch ausgestattete 80er-Jahre-Ästhetik, man will wissen, was wirklich mit seiner verstorbenen Mutter war und was sich tatsächlich in dem verschlossenen Zimmer seines Hauses befindet – die Einführung der Protagonisten hat serienmäßig prima geklappt. Die Heldenreise, auf der Stefan sich befindet, ist jedoch ein Irrgarten – sodass man am Ende, oder nach mehreren Enden, das gleiche Gefühl wie nach zu viel Gaming hat: War das vergeudete Zeit?

War es natürlich nicht. Immerhin hat man die Geburt eines neuen Formats erlebt, das hoffentlich Schule macht, sodass es in Zukunft mehr und ausgefeiltere Game-Serien-Hybride geben wird. Die vielen leidenschaftlichen Gamer mit dieser interaktiven Sichtungserfahrung einzusammeln, haut bei Bandersnatch vielleicht noch nicht ganz hin. Genauso wenig schafft es die trotz alledem je nach „path“ recht kurz geratene Geschichte, die Fans von horizontalen Serien, die sich mit verschränkten Handlungssträngen gut auskennen, um den Finger zu wickeln. Und vielleicht haben diese beiden Gruppen auch – bislang – eine kleinere Schnittmenge, als Netflix sie sich wünscht.

Der Streamingdienst befindet sich übrigens momentan wegen eines einzigen Satzes in einem Urheberrechtsstreit: „This is a choose-your-own-adventure book“, erklärt Stefan an einer Stelle den Roman, auf dem sein Computerspiel basiert. Diese Bezeichnung hatte sich jedoch der Chooseco-Verlag für eine eigene Kinderbuchreihe gesichert. Er verklagt Netflix jetzt auf 25 Millionen Dollar. Vielleicht sollte man also schnell eine neue Variante der Szene programmieren, äh, drehen, in der Stefan diesen Satz einfach nicht sagt.

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