Zurück zum Klassenstandpunkt

Hilfsangebot Ulf Poschardt erklärt den Linken, warum sie weite Teile der Arbeiterklasse verloren haben
Ausgabe 14/2019

In Zeiten umfassender Sentimentalisierung aller gesellschaftlichen Debatten erwarte ich die Linke aus ihrer Tradition heraus auf Seiten der Aufklärung. In der Marxistischen Gruppe der 80er Jahre war die eisige Disziplin beim Denken eine Art linksradikales Rittertum. Eine kluge Linke war stets ideologiekritisch und wählte für sich nur eine Ausnahme bei der Galligkeit der Beobachtung: Das war die eigene sozialistische bzw. kommunistische Weltanschauung, die mit Nachsicht gepflegt wurde.

Die aktuelle Linke hat sich dem undialektischen Zeitgeist verschrieben, der zwischen Klima-Panik und Gleichheitsfetischismus keinerlei Berührungsängste mehr hat mit der Demagogie der Populisten. Es soll ja auch in dieser linken Wochenzeitung Leute geben, die einen linken Populismus für das richtige Projekt halten. Dies ist vielleicht eine pragmatische Haltung, aber es beschädigt den Fortschrittsglutkern der Linken, die sich im Zweifel stets für maximale Mündigkeit aller Diskursteilnehmer einsetzte.

Die Linke war stets am Klassenstandpunkt interessiert und der war Teil einer umfassenden Ideologiekritik. Das aktuelle Elend der SPD ist, dass sie einer links geschminkten Bourgeoisie hinterherläuft, die längst bei den Grünen eingecheckt hat, die zwar gerne links blinkt, aber auch keinerlei Probleme hat rechts abzubiegen oder auf der Mitte der Fortschrittsautobahn den Fortschritt auszubremsen. Die Melancholie der Zurück-zur-Natur-Schwärmer hat mit einem linken Projekt nichts zu tun, auch wenn der Zeitgeist anderes sagt. Die Geschichte der Linken ist eine der Zuversicht und des Fortschritts, der die Akteure eher neugierig als ängstlich ins Morgen blicken ließ.

Maßgebliche Meinungsführer der publizistischen Linken sind Wohlbegüterte, die sich ihr Linkssein leisten können und die moralische Distinktion pflegen. Der Blick auf die Arbeiterklasse, die Abgehängten und Verstörten fällt denkbar ungnädig aus. Oder noch schlimmer: paternalisierend wie in einem Streichelzoo. Der Stolz der Arbeiterklasse, das Streben der Mitglieder nach Emanzipation und Aufstieg spielt auch in der kulturellen Praxis der Linken kaum mehr eine Rolle. Die Idee von Bildungs- und Kulturverreinen, von Gewerkschaften und Parteien oder auch linken NGOs ist weitgehend verdampft, obwohl die Lage am Arbeitsmarkt noch nie so gut war wie jetzt. Die unten werden in Fürsorgemaschinerien entmündigt.

Eine kluge Linke würde das emanzipatorische Anliegen des gesellschaftlichen Fortschritts neu definieren. Zuerst über Bildung, die auch besonders in abgehängten Vierteln und Gegenden gewährleistet werden muss, und dann über eine neue Definition von Gerechtigkeit, die vor allem Leistungs- und Chancengerechtigkeit in den Mittelpunkt stellt. Eine kluge Linke müsste den säkularen Calvinismus ebenso scharf geißeln wie das überzeugte Liberale tun.

Eine kluge Linke muss an vielen Orten die Deutungshoheit abseits der Sachbuchrevolutionäre zurückgewinnen. Und sie sollte stets den Klassenstandpunkt vermeintlich linker Ideologen identifzieren. Die Linke hat weite Teile der working class an eine reaktionäre, in Teilen aber revolutionäre, nationalkonservative Politikströmung verloren. Warum? Die neue moralische Gängelung insbesondere einfacher Lebensentwürfe hat die Linke von den einfachen Menschen entfernt und eine verlogene Mittelschichtslinke entstehen lassen.

Ulf Poschardt ist Chefredakteur der Welt-Gruppe

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