Inklusion ist ein häufig diskutiertes Thema. Zehn Jahre ist es jetzt her, dass die UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen deutschlandweit in Kraft trat, die mit dem Vorhaben zur Umsetzung eines inklusiven Schulsystems einherging. Grundschulen leben den Gedanken schon relativ erfolgreich, auch wenn es häufig an Expertise und Ressourcen mangelt. Aber wenn man ehrlich ist, sie waren schon immer Schulen für alle. Die Journalistin Parvin Sadigh schreibt, dass Inklusion nicht zu unserem exklusiven Schulsystem passen würde und, dass das Miteinbezogensein vielerorts eine Utopie sei (Die Exklusivität des Trennens nach den Grundschuljahren nach Leistung widerspricht dem Inklusionsgedanken prinzipiell). Frau Sadigh kritisiert dabei einen wichtigen Punkt. Wer es auf Grund guter Leistung aufs Gymnasium schafft, genießt (meist) eine gute Schulausbildung. Wer es nicht packt, landet womöglich auf einer der anderen Schulen mit den etlichen anderen Namen. So werden Haupt-, Sekundar- oder Gesamtschulen oftmals Auffangbecken für Kinder aus benachteiligten Elternhäusern, solche mit schlechten Sprachkenntnissen, andere, die sozial auffällig geworden sind – oder eben Behinderungen haben.
Nach zehn Jahren der UN-Behindertenrechtskonvention gibt es noch viel zu tun. Aktivist Raúl Krauthausen kritisierte in einem Interview mit der Deutschen Welle die gesellschaftliche Grundhaltung. Er sagt, dass Haltung ausschlaggebend ist und kontert: „Betrachten wir Behinderung als ein Schicksal des Individuums, das halt Pech gehabt hat – oder betrachten wir Behinderung als etwas, das durch Barrierefreiheit, zum Beispiel in Form von Aufzügen, Punktschrift für blinde Menschen oder Gebärdensprache zur gesamtgesellschaftlichen Aufgabe wird?“ In einem weiteren Deutsche Welle-Interview zieht der Geschäftsführer der BAG (Bundesarbeitsgemeinschaft Selbsthilfe von Menschen mit Behinderung und chronischer Erkrankung und ihren Angehörigen), Martin Danner, ein Fazit: „Die Liste der Lebensbereiche, in denen noch Handlungsbedarf besteht, ist lang. Zu nennen sind die Felder Bildung und Ausbildung, Teilhabe am Arbeitsleben und auch die Barrierefreiheit, zu der auch private Unternehmen verpflichtet werden müssen.“ Hinzu komme noch „Nachholbedarf etwa beim Gewaltschutz, der Rehabilitation, beim Diskriminierungsschutz und auf dem Feld der Selbstbestimmung.“
Der Schichtwechsel findet jährlich bundesweit statt und ist ein lobenswerter Ansatz, Inklusion zu fördern und neue Perspektiven zu gewinnen. Teilnehmer des Schichtwechsels sind Betriebsangehörige und Menschen mit Behinderungen aus Werkstätten, die ihren Arbeitsplatz tauschen. Dadurch werden von beiden Seiten Einblicke in die verschiedenen Arbeitsalltage gewährleistet.
Der diesjährige Schichtwechsel fand am 24. Oktober statt. Insgesamt 17 Berliner Werkstattträger für Menschen mit Behinderungen luden Beschäftigte zum diesjährigen Perspektivwechsel ein. Auch der Freitag war, wie in den letzten Jahren, beim Schichtwechsel dabei. Um neun Uhr ging es für die Freitag-Mitarbeiterin, also mich, in der Genter Straße 8 in Berlin los. Ich war in der Handbuchbinderei eingeteilt, eine der vielen Dienstleistungsbereiche der Union Sozialer Einrichtungen (USE). Die Union Sozialer Einrichtungen GmbH ist ein innovatives, wirtschaftlich orientiertes Unternehmen mit hoher sozialer Verantwortung. Mit einem hohen Maß an Kreativität und Kompetenz entwickelt die Institution Angebote, mit denen behinderte und benachteiligte Menschen eine individuell passende Struktur finden, durch die sie Teil der Gemeinschaft und der Arbeitswelt sein können. Beispiele der verschiedenen Bereiche sind Handwerk, Druck und Medien, Pflanzen und Garten, Manufakturen und noch einiges mehr.
Regina Görnert de Gutierrez, Leiterin der Handbuchbinderei, empfing mich. Es ging gleich mit einer Rundführung los. Nichts wurde ausgelassen; der 3D-Drucker wurde vorgeführt, das Geschäft der Handbuchbinderei wurde inspiziert, die Druck Prozedur großer Aufträge wurde beäugt und es wurde letztlich auch mit angepackt, was um einiges leichter aussah als es war, dennoch nach mehreren Ansätzen und geduldigem Zuspruch der Werkstattmitarbeiter gelang.
Es war ein toller, inspirierender Tag. Die Gespräche sowohl mit den Leitern der Werkstatt wie auch mit den Mitarbeitern waren lehrreich und spannend. Der Respekt und das zwischenmenschliche Miteinander sind ein soziales Paradebeispiel, ein wahres Vorzeigemodell. Auch der Schichtwechsel hat große Signifikanz. Zwar bietet er lediglich für einen Tag einen Perspektivwechsel, setzt jedoch ein wichtiges Zeichen der Bereitwilligkeit zur Inklusion. Klar ist, dass es noch ein langer Weg sein wird, bis man von einem Erfolg hinsichtlich Inklusion ausgehen kann und dies betrifft (leider) noch viele Bereiche. Passend dazu sagte Van Gogh mal: „Großes wird durch eine Reihe von kleinen Dingen erreicht, die zusammenkommen.“
Kommentare 1
»Inklusion ist wichtig.«
»Inklusion ist ein häufig diskutiertes Thema. Zehn Jahre ist es jetzt her, dass die UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen deutschlandweit in Kraft trat, die mit dem Vorhaben zur Umsetzung eines inklusiven Schulsystems einherging.«
Ja – und Inklusion kostet Geld, viel Geld. Und scheitert aus diesem Grunde schon deshalb. Die politische Devise seit Schröders AGENA 2010 lautet nämlich, die Bevölkerung muss billiger werden, das Geld ist für die Reichen da.
In diesem Sinne handelte auch die grüne Schulministerin Sylvia Löhrmann in NRW. Von 2010 bis 2017 war sie Ministerin für Schule und Weiterbildung sowie stellvertretende Ministerpräsidentin des Landes Nordrhein-Westfalen.
Vorsorglich nannte Frau Löhrmann in ihrer Präsentation den Gesetzentwurf der Landesregierung für ein „Erstes Gesetz zur Umsetzung der VN-Behindertenrechtskonvention in den Schulen“ … vom 20. März 2013 „Auf dem Weg zur inklusiven Schule in NRW“. – Sie war weit davon entfernt, von Inklusion in definitiver Weise zu sprechen. Sie tat alles, um zu erreichen, dass dem Land NRW im Rahmen des Konnexitätsprinzips durch die Einführung der schulischen Inklusion keine zusätzlichen Kosten entstehen. Darum wurde sie nicht müde, die Begriffe Inklusion und Gemeinsamer Unterricht synonym zu verwenden. Entsprechend stellte sie sich auf den Standpunkt, dass Inklusion keine neue Aufgabe des Schulsystems sei, da der Gemeinsame Unterricht seit den 1980er Jahren eingeführt ist. Die Schulträger sollten also auf den Kosten sitzenbleiben. Schließlich erklagten sie sich eine Landesbeteiligung an den entstehenden Kosten.
!!!Ergebnis der Löhrmann-Politik: Eine völlig verunsicherte NRW-Schullandschaft.!!!
Ihre Politik wollte offensichtlich nur die Zerstörung des teuren, aber sehr bewährten und organisch gewachsenen Förderschulsystems erreichen, nicht aber für einen adäquaten Ersatz im Rahmen inklusiver Beschulung sorgen: Die Bevölkerung muss eben billiger werden, das Geld ist für die Reichen da!
Deutschland hat UN-Behindertenrechtskonvention mit Zusatzprotokoll am 24. Februar 2009 ratifiziert, und damit ist sie deutsches Recht. Es handelt sich also um einen Gesetzesauftrag, den es zu realisieren gilt. – Schulische Inklusion ist ab sofort Handlungsmaxime!
In der Zwischenzeit hat NRW eine schwarz-gelbe Regierung und eine FDP-Schulministerin Yvonne Gebauer. Ihre Devise: Marsch zurück bei der Inklusion! Mit dem neuen Konzept für gemeinsames Lernen an Schulen hat die nordrhein-westfälische Schulministerin Yvonne Gebauer (FDP) ein zentrales Wahlversprechen der schwarz-gelben Landesregierung eingelöst. Das Ziel ist nicht mehr, wie unter ihrer grünen Vorgängerin Sylvia Löhrmann, ein möglichst hoher Inklusionsgrad an allen Schulformen, sondern die Beschränkung der Inklusion auf einige wenige weiterführende Schulen: Die Bevölkerung muss eben billiger werden, das Geld ist für die Reichen da!
…
Noch ein Bonmot aus meiner Zeit als sachkundiger Bürger für den Rat der Stadt der Stadt Castrop-Rauxel:
Pünktlich zum Inkrafttreten des 9. Schulrechtsänderungsgesetztes, mit dem zum 1. August 2014 die Schulische Inklusion in NRW auf den Weg gebracht werden soll, legte uns auch die neue Castrop-Rauxeler Ratskoalition aus SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP ihren Koalitionsvertrag vor. Doch siehe da: In dem 41 Seiten umfassenden Papier wurde das Thema Schulische Inklusion überhaupt nicht behandelt. Dieser Begriff wurde geradezu demonstrativ gemieden.
Stattdessen beschäftigten sie sich 2 ½ Seiten lang mit dem Thema Förderschulentwicklungsplanung, und sie wollten auf dieser Ebene sogar noch eine neue Institution schaffen, nämlich ein „Zentrum für sonderpädagogische Förderung als Ersatzkonzept“. Das Zentrum sollte Aufgaben aus dem Bereich der Förderschulen und dem Jugendamt übernehmen. Also Anstrengungen zum Erhalt des Förderschulsystems, aber Perspektivlosigkeit bezüglich Schulischer Inklusion.