Zwanglos

Outing heute Für die einen Aufmerksamkeitsgewinn, für die anderen Erpresserdrohung

Etwas nur "für die Show" zu machen, gilt hierzulande als besonders verwerflich. Vor allem bei der Demonstration von menschlichen Tugenden wie Mut, Ehrlichkeit und Offenheit ist Vorsicht geboten: Ein Zuviel an Demonstration wird als Schau ausgelegt und kann das Anliegen schnell ins Gegenteil verkehren. So muss Klaus Wowereit seit seinem Bekenntnis immer wieder das eine dementieren: nämlich dass ihm sein Outing genutzt habe. Denn das wäre ja noch schöner, dass einer öffentlich zugibt, schwul zu sein, und daraus auch noch Vorteile schindet ...

Allerdings ist es ganz unbestreitbar, dass seine offenen Worte dem SPD-Spitzenkandidaten sehr viel Aufmerksamkeit verschafft haben in einem Moment, als er diese dringend nötig hatte. Mit keinem anderen Thema, weder der Schließung aller Theater- und Opernhäuser, noch der kompletten Rekonstruktion der Mauer oder dem Abriss des Brandenburger Tors hätte er sein Ziel besser verfolgen können - ohne dieses eine wertvolle Wochenende im Zentrum des Medieninteresses sähe Wowereit gegenüber dem mittlerweile gekürten PDS-Spitzenkandidaten und alten Medien-Fuchs Gregor Gysi mehr als blass aus. Wer wollte einem Politiker das Gespür für bestes Timing übel nehmen?

Wenn Wowereit sich nun an die unausgesprochenen Spielregeln hält - nicht allzu sehr auf dem Thema herumzureiten, nicht dem offensichtlichen Klischee zu entsprechen und keinesfalls "Gleichgesinnte" als Seilschaft um sich zu scharen -, dann feiert Berlin sich im Herbst eventuell noch mehr als Hauptstadt der Toleranz, als das ohnehin schon geschieht. Und ohne nun wiederum zwanghaft das repressive Moment in der demonstrativen Toleranz zu suchen, drängt sich dieser Tage doch die Frage auf, wie sich diese fortschreitende Akzeptanz von Homosexualität mit den Meldungen auf den vermischten Seiten der Zeitungen verträgt, in denen davon berichtet wird, dass Stars wie Tarkan oder Tom Cruise durch Androhung von Outing erpresst werden? Zuerst mag man denken: andere Länder, andere Sitten. Schließlich darf in den USA ein Präsidentschaftskandidat noch nicht einmal geschieden sein, im Unterschied zur toleranten BRD und ihren frauenverschleißenden Spitzenpolitikern.

Aber dann wieder: Ist es nicht doch die gleiche Medienwelt, in der sich die herausragenden Figuren von Pop, Film und Politik bewegen? In dieser Welt sind Schwule als Medienfiguren mittlerweile fest etabliert. Aber eben auch stillgestellt, befriedet, für die Quote eingesetzt, wenn nicht sogar benutzt, um einen gewissen Voyeurismus zu bedienen. Die Grenzen verlaufen eher deutlich und Ambivalenzen sind unerwünscht. Kaum eine der täglichen Vorabendserien ohne schwul-lesbische Gefühlswirren, kaum eine Komödie ohne den besten schwulen Freund an der Seite der Heldin. Nicht, dass dagegen was zu sagen wäre.

Wie mit Absicht sendete Pro7 am Montag nach Wowereits Bekenntnis die zigste Wiederholung einer Seinfeld-Folge zum Thema: Durch einen Scherz von Freundin Elaine kommen George und Jerry in den Verdacht, schwul zu sein. Ganz nach den Regeln des PC müssen sie jedes Dementi durch ein weiteres Dementi entschärfen, selbst die entsetzte Mutter ("Bin ich etwa schuld?") schiebt schnell die Formel nach: Nicht, dass dagegen was zu sagen wäre. Unschwer zu erkennen, dass es sich beim Wowereitschen "Und das ist auch gut so" um eine ähnliche Sprachhülse handeln muss, die dazu da ist, ein Gerüst zu bilden, welches die frei flottierenden Ressentiments im Zaum hält. Die auf allen Seiten natürlich weiter existieren, auch als Widerstand gegen das vorgeprägte Medienimage, auch als Widerwille dagegen, so privates wie das eigene Sexualleben öffentlich zu machen.

Aus der Vereinzelung heraus hilft nur das gemeinschaftliche Bekenntnis. "Ich bin Spartakus", rufen in Kubricks Film die gefangenen Soldaten des Sklavenheers schließlich im Chor. Kongenial verarbeitet wird diese Szene im Film In, in dem sich ein von Kevin Kline gespielter High-School-Lehrer unfreiwillig geoutet sieht. Am Ende versammelt sich die Kleinstadt in der Schulhalle und nacheinender stehen seine Schüler, die örtliche Feuerbrigade und schließlich sogar seine Eltern auf und bekennen, sie seien schwul.

Das mit den Eltern ist natürlich ein Witz, sozusagen "nur Show"; aber einer mit vorausblickendem Charakter, weist er doch darauf hin, dass eine weitere Etappe der Toleranz erst erreicht wäre, wenn Leute bekennen, schwul zu sein, die es gar nicht müssten, sozusagen nur um Aufmerksamkeit zu erregen oder - welch ferne Utopie - sogar nur zum Spaß.

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Geschrieben von

Barbara Schweizerhof

Redakteurin „Kultur“, Schwerpunkt „Film“ (Freie Mitarbeiterin)

Barbara Schweizerhof studierte Slawistik, osteuropäische Geschichte und Theaterwissenschaft an der Freien Universität Berlin und arbeite nach dem Studium als freie Autorin zum Thema Film und Osteuropa. Von 2000-2007 war sie Kulturredakteurin des Freitag, wechselte im Anschluss zur Monatszeitschrift epd Film und verantwortet seit 2018 erneut die Film- und Streamingseiten im Freitag.

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