Vor kurzem hat der Freiburger Historiker Ulrich Herbert die Öffentlichkeit alarmiert: Einem Nachwuchswissenschaftler ist die Stelle, die er sich durch Drittmittel zur Forschung selbst organisiert hatte, mit der Begründung verwehrt worden, dass er damit länger als das im neuen Hochschulrahmengesetz festgeschriebene Maximum von zwölf Jahren angestellt wäre.
Projekte aus Mitteln der deutschen Forschungsgemeinschaft, der Volkswagenstiftung oder anderer nicht staatlicher Geldgeber waren bisher ein Eckpfeiler gerade der geistes- und sozialwissenschaftlichen Forschung. Wer weiß, ob ohne sie zum Beispiel die wissenschaftlichen Grundlagen für die Entschädigung der Zwangsarbeiter zustande gekommen wäre. Die Drittmittelstellen waren zugleich aber auch eine
auch eine entscheidende Möglichkeit für den wissenschaftlichen Nachwuchs, jene lange und immer wieder gestreckte Durststrecke zu überwinden, bis endlich der Generationswechsel auf den Lehrstühlen stattfindet. So ist dieser Bereich der Forschung durch hochmotivierte Eigeninitiative und entsagungsvolle Arbeitskräfte - zudem durch ein dichtes Filtersystem kontrolliert - nicht nur zu einer zweiten Wissenschaftsökonomie geworden, sondern gilt in vielen Bereichen überhaupt als erste Liga der Forschung. Gewiss, das ist eine Forschung, die sich nicht unmittelbar in Patenten, Start-ups und Nobelpreisen niederschlägt, eine Forschung aber, die nicht wenig zur Klärung der Grundlagen beigetragen hat, auf der die Bundesrepublik sich heute erlauben kann, ohne das Odium der Unverbesserlichkeit international Verantwortung zu übernehmen.In der neuen Hochschulpolitik findet sich neben der Einführung der Juniorprofessur, leistungsbezogener Besoldung für Professoren und der Forcierung von Bachelor/Master-Studiengängen eben auch, dass niemand, der es bis dahin nicht in eine Dauerstelle geschafft hat, länger als zwölf Jahre an Hochschulen beschäftigt sein darf. Dazu rechnen selbst Zeiten als wissenschaftliche Hilfskraft. Das allein ist schon merkwürdig genug: Wird doch nun dem wissenschaftlichen Nachwuchs zur Last gelegt, dass er sich erfolgreich hervorgetan und selbst alimentiert hat. (Überdies weiß man offenbar nicht, was man mit dem bisherigen Unterschied von studentischen und wissenschaftlichen Hilfskräften anfangen soll.)Bislang haben sich die Hochschulen gegen die - aus einer fehlgeleiteten gewerkschaftlichen Fürsorglichkeit entstandenen - Möglichkeiten, sich aufgrund sogenannter Kettenverträge einzuklagen, dadurch geschützt, dass sich Projektforscher nach etwa fünf Jahren eine andere Hochschule suchen mussten. Nun hat man Sorge, dass dies Verfahren der Rechtsprechung nicht mehr standhält. So will man sich mit einem Federstrich ein Verwaltungsproblem vom Hals schaffen. Dass man damit zugleich in die Hunderte gehende Wissenschaftsbiografien zerstört, nimmt man achselzuckend in Kauf. Herbert zitiert in dem erwähnten Artikel einen Ministerialbürokraten mit der Aussage, dass man die dann halt "verschrotten" müsse. (Besonders apart ist, dass das nicht eben wenige Wissenschaftler aus den neuen Bundesländern trifft, die man nach 1989 auf den westlichen Heilspfad der Habilitation gelockt hatte.) Zugleich würgt man damit die ohnehin nicht in das neue Weltbild passenden Geisteswissenschaften. Das neue Weltbild steht ja auf zwei Säulen: Effizienz und Exzellenz. Arg hohl tönerne Füße. Aber sie werden als solide Made in USA ausgegeben. Von den Amerikanern lernen soll heißen, zukünftig Wissenschaftler nicht anwerben zu müssen, sondern exportieren zu können. Wer sich auch nur ein bisschen im amerikanischen Wissenschaftssystem auskennt, wird das, was man hier als amerikanisch ausgibt, nicht anders denn als besonders rabiate Form des Antiamerikanismus bezeichnen können: Es ist das Gerücht, die Amerikaner seien so dumm, wie man sich hier gerade macht. Kundige Einwände gegen diese angeblich amerikanischen Rezepte werden seit Jahr und Tag achselzuckend ignoriert. Die Ignoranz hat ihre Logik: Sie zerstört das Ethos der freien Wissenschaftlichkeit, dem die Universitäten bisher verpflichtet waren, zugunsten der Mechanismen einer Nach- und Verschulungsinstitution, in der nach Sinn und Zweck des Zweckfreien zu fragen, weder Raum noch Zeit bleibt. Und jedes Mal wird behauptet, das geschehe aus Fürsorge. Die Befristung soll die Nachwuchswissenschaftler vor der späten Arbeitslosigkeit schützen, indem man ihnen fürsorglich von vornherein die Arbeitsmöglichkeiten nimmt. Lehramtsstudiengänge, deren zweite Ausbildungsphase, das Referendariat, bisher staatlich garantiert war, sollen in Bachelor- und Master-Studiengänge aufgelöst werden. Das heißt, der Staat stiehlt sich hier aus der Verantwortung, indem er fürsorglich junge Menschen daran hindert, arbeitslose Lehrer zu werden. Denn nun wird man auf- und abdrehen können: Brauchen wir Lehrer, lassen wir Studierende zur entsprechenden Master-Qualifikation zu, brauchen wir keine, produzieren wir sonstige Dienstleister. Ergänzt um ein im Namen von Effizienzsteigerung fürsorglich etabliertes System der Leistungskontrolle, in dem Verwaltung, die für die Wissenschaften da sein sollte, nurmehr kontrolliert, ob Forscher und Lehrende ihre Verwaltungsaufgaben erfüllen. Ergänzt um die Vorstellung, dass Leistung sich nicht in Publikationen, sondern zum Beispiel in der Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses ausdrückt, dessen Förderung man zugleich durch andere Teile des Gesetzes verhindert, rundet sich das Bild. Es ist das Weltbild der Bodysnatcher des Sozialstaates. Woher kommen sie wohl, die das ausgeheckt haben, Leute mit offenbar unbändigem Hass auf Sonderwege, Eigensinn und wissenschaftliche Leidenschaft. Figuren, die nie ein inhaltliches Interesse genommen haben, es sei denn, an der Überlistung der Stechuhr? Spezial-, Formular- und Generaldemokraten. Vielleicht muss man sie sich so vorstellen: Gestalten, die bisher in den einschlägigen, am alternden Körper der Arbeiterbewegung parasitär vermehrten Institutionen gesessen haben, jahrelang Wasserträger von Apparatschiks West, Zwangsbeglücker, Prinzipienverwalter, Missgunstexperten, Frondeure und Ränkeschmiede. So saßen sie seinerzeit in den französischen Ländereien, ehe sie am Hof des Sonnenkönigs zusammengezogen, sich wechselseitig aufschaukeln konnten. Ihr Berlin ist von Berlin zwar geographisch nicht so weit wie Versailles von Paris, aber eine Ahnung, dass es Menschen geben könnte, die anders sind als sie, dürfte von ihnen so entfernt sein wie der Mars. Darum darf man sich als politisch korrekter Mensch auch nicht über sie erregen. Sie sind halt so. Es ist eben ihre Kultur. Und ihre Bildungspolitik ist ihre Charta der Menschenrechte. Wer die nicht anerkennen will, der muss sich halt verschrotten lassen ...Erhard Schütz ist Professor für Neuere deutsche Literatur an der Humboldt-Universität zu Berlin.
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