Zwei Eisbecher

Kehrseite II Er erinnert sich nicht an mich, da flackert nichts in seinen Augen, er hat mich nicht erkannt. Er bestellt Eis wie damals, für das Kind ein ...

Er erinnert sich nicht an mich, da flackert nichts in seinen Augen, er hat mich nicht erkannt. Er bestellt Eis wie damals, für das Kind ein Biene-Maja-Eis, für sich einen Krokantbecher. Er kann ja nicht wissen, dass ich die Stelle gewechselt habe, dass ich jetzt hier bediene, wo er seine Masche noch nicht abgezogen hat. Hamburg ist groß, es gibt so viele Eisdielen. Bis er die alle durch hat, vergehen Monate oder sogar Jahre, je nachdem, wie oft er mit der Kleinen Eis isst.

Ob es seine Tochter ist? Dann vielleicht alle zwei Wochen, wie das so ist nach der Scheidung, wenn man die Kinder teilen muss. Ein Wochenende sie, ein Wochenende er, immer abwechselnd, Pflicht oder Vergnügen?

Er sitzt genau wie damals, liest Zeitung, sieht das Mädchen mit keinem Blick an, die ganze Zeit nicht. Er sagt nichts zu ihr, ich beobachte die beiden lange, von meinem Tresen aus. Ich bin nicht groß, kann mich gut dahinter verstecken.

Die Kleine hat sich einen Zopf gemacht mit einem rosa Zopfhalter, an dem eine Prinzessin angebracht ist, die Prinzessin hat engelsgleiches Rauschgoldhaar. Die Kleine sitzt und isst. Ich habe ihr extra einen Lolly dazugelegt, obwohl der nicht zum Biene-Maja-Eis gehört, ich habe lauter Smarties über das Eis gestreut, auch die gehören nicht dazu.

Die beiden sitzen eine halbe Stunde. Er guckt in die Zeitung. Einmal telefoniert er, das Handy hat aber nicht geklingelt, er hat selbst gewählt. Die Kleine isst und schaut manchmal auf ihre Füße.

Als sie fertig sind, winkt er mich nicht zum Tisch. Er zieht sich an, das Mädchen auch. Dann lässt er das Kind am Tisch warten, kommt und erzählt mir leise die Geschichte vom Portmonee, das im Auto liegt und das er gleich holen wird.

Natürlich, sage ich, kein Problem.

Ich bin gleich zurück, sagt er. Ich nicke.

Er erkennt mich noch immer nicht. Ich weiß, dass ich ihn so gehen lassen werde, was soll ich auch machen? Ich kann dem Mädchen das nicht antun - sein Vater oder wer immer dieser Kerl ist, führt es alle zwei oder drei oder ich weiß nicht wie viele Wochen in eine Eisdiele, sieht es die ganze Zeit nicht an, telefoniert, und am Ende bezahlt er nicht. Die Kleine ist ihm nicht mal den Eisbecher wert, oder ist er so arm, dass er ihn nicht bezahlen kann? Er stiehlt sich davon, ganz cool, mit einer Lügengeschichte. Ob die Kleine das längst durchschaut hat? Ich weiß nicht. Sie ist höchstens sechs Jahre alt. Sie ist zu klein, um diese Masche mitzuspielen oder gut zu finden. Wenn ich ihn jetzt festhalte, die Polizei rufe, wird das Kind sich schämen. Es wird sich da hinten an die Wand drücken und immer kleiner werden. Es wird sich wünschen, dass niemand es sieht.

Ich schaue den beiden nach. Das Mädchen hat den Lolly im Mund, der Mann die Hände in den Taschen, so traben sie nebeneinander zur Tür hinaus.

Annette Schwarz, geboren 1964 in Güstrow, studierte Betriebswirtschaft in Wismar und Reutlingen. Sie schreibt und lebt in Bargteheide.


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