Wie wäre es wohl gewesen, wenn sich die beiden jüdischen Kommunistinnen Olga Benario und Marie Langer an einer ihrer diversen Exilstationen in Lateinamerika in den dreißiger Jahren begegnet wären? Hätten Sie beim kühlen Drink im Schatten der Palmen über die Revolution diskutiert oder über Mutterschaft und Sexus, wie ein Werk der Psychoanalytikerin Marie Langer heißt? Ein solches Treffen kann man sich nur in der Fantasie ausmalen, eine gewisse Wesensverwandschaft der zwei außergewöhnlichen Frauen jedoch im Kino entdecken. Dabei könnten die zwei Dokumentarfilme, die ihre spannenden Biografien erzählen, unterschiedlicher kaum sein.
Der Film Olga Benario. Ein Leben für die Revolution von Galip Iytanir rollt deren Leben chrono
eren Leben chronologisch auf: Schon mit 15 Jahren trat die Tochter aus gutem Münchner Hause der Kommunistischen Jugend bei, lebte ab 18 dauerhaft unter falschem Namen, wurde in der Sowjetunion von der Kommunistischen Internationalen ausgebildet und auf geheime Mission nach Frankreich und Großbritannien geschickt. Zusammen mit dem charismatischen "Ritter der Hoffnung Brasiliens", Luiz Carlos Prestes, stiftete sie 1935 die brasilianische Revolte und zeugte ein gemeinsames Kind. Die Revolte scheitert kläglich, Olga Benario wird verhaftet; es folgen Deportation nach Deutschland, Konzentrationslager und Gaskammer.Der Film basiert auf einer Fülle an dokumentarischem Material, das es ihm erlaubt zu erzählen, wie Olga schon in der Schule für gehobene Töchter einen revolutionären Geist entwickelte und sich von der Eifersucht ihres ersten Liebhabers, des KPD-Funktionärs Otto Braun, in ihrer Freiheit nicht beirren ließ. Ob die Dokumente aber tatsächlich belegen, dass der berühmte Revolutionär Prestes, dem sie zur Tarnung als fiktive Ehefrau zugeteilt wird, mit seinen 37 Jahren noch nie Sex hatte, bevor er von Olga in die Geheimnisse der Liebe eingeführt wurde, mag man bezweifeln.Nicht nur in der romantischen Verklärung dieser Liebesgeschichte, sondern auch in der Darstellung von Olgas Spionageaktionen als Thriller entlarvt sich Olga Benario als Spielfilm. Die alten Fotos und Filmaufnahmen sowie Dokumente und historische Orte werden mit inszenierten Spielszenen vermischt. Als Ouvertüre erleben wir die spektakuläre Befreiungs von Otto Braun (Michael Putschli) aus dem Gefängnis Moabit mit Olga Benario (Margrit Santorius) als femme fatale. Die Zeitungsausschnitte zeigen, dass die Aktion schon zu ihrer Zeit als Wildwestkunststück gefeiert wurde - das revolutionäre Leben gestaltet sich in der Realität also manchmal tatsächlich wie im Film. Ob es auch so dilettantisch daherkommt wie in diesen Inszenierungen, sei dahingestellt. Jedenfalls gelingt dem Film damit eine spannende und anschauliche, aber ungebrochene und pathetische Darstellung in der DDR geehrten und geachteten Olga Benario.Da lobt man sich erstmal den zweiten Film Marie Langer. Der Roman der Erinnerungen von Lester Y. Cano Alvarez und Corinna Wichmann. "Du schickst mich ans Ende der Welt, damit ich einen Film über eine Frau mache, die du gerne kennen gelernt hättest. Jetzt bin ich hier in Buenos Aires und suche nach ihren Spuren. Wie oft muss man eine Biografie lesen, um sie zu verstehen", fragt sich der Erzähler, dem wir eine Stunde lang in atmosphärischen Videoaufnahmen auf seiner Suche folgen. Die ausführlichen Gespräche mit Marie Langers Tochter Verónica und Arbeitskolleginnen aus der Psychoanalytischen Vereinigung in Buenos Aires, die Mimi (so Langers Spitzname) gegründet hatte, vermitteln weniger Informationen über ihr Leben als einen Eindruck der Faszination, die sie auf ihre näheren Mitmenschen ausgeübt haben muss. Daraus entsteht ein lückenhaftes und widersprüchliches Bild: unkonventionelle Mutter von sechs Kindern, emanzipierte Liebhaberin, herausragende Psychoanalytikerin, österreichische Jüdin, lateinamerikanische Intellektuelle, kommunistische Aktivistin. Aber auch: naive Bürgerkriegskämpferin in Spanien, Verteidigerin des Gulag, vernachlässigende Mutter, überpräsente Mutter, entwurzelte Exilantin. "Es gibt viele Marie Langers und jeder hat seine eigene. Wir machen daraus ein Puzzle. Und alle Geschichten stimmen", bemerkt der Autor ihrer Biografie im Film treffend. Ob die Unterwanderung unseres Wunsches nach konkreten Angaben und Zusammenhängen in dieser Konsequenz wirklich Programm ist oder der Film sich in seinem eigenen Puzzle verliert, ist nicht leicht auszumachen. Während Olga Benario von ihrem Film zu stark vereinnahmt wird, geht Marie Langer dem ihren zwischendurch verloren. Vielleicht hätten sich die beiden Frauen beim Drink unter den Palmen ja auch über die Tücken des biografischen Dokumentarfilms unterhalten.Olga Benario. Ein Leben für die Revolution ist in dieser Woche in den Berliner Kinos Balazs, Eiszeit und Lichtblick zu sehen, ab Ende Januar 2005 in Hannover und Kiel. Information zum Verleih unter www.neuevisionen.de. Marie Langer. Roman der Erinnerungen wird im Lichtblick-Kino in Berlin gezeigt.Mehr zum Verleih des Films unter www.khm.de/marielanger