Zwei Ischen gegen die Mafia

Mafia-Roman In María Inés Krimers „Sangre Kosher“ ermittelt eine Archivarin mit der Putzfrau
Ausgabe 47/2014
Alle Bilder dieses Spezials stammen aus der Fotoserie „Vele“ von Tobias Zielony*
Alle Bilder dieses Spezials stammen aus der Fotoserie „Vele“ von Tobias Zielony*

Foto: Tobias Zielony

Geschieden, kinderlos, pensionierte Archivarin, das ist Ruth Epelbaum. In ihrer Heimatgemeinde Paraná im Nordosten Argentiniens hat man sie aus ihrem Job komplimentiert, Ruths Vorträge über die jüdische Mafia empfand man als Nestbeschmutzung. Sie zieht nach Buenos Aires, wo sie sich als Amateurdetektivin innerhalb der jiddischen Gemeinde empfehlen lässt. Die Tochter des Juweliers Chiquito Gold ist verschwunden. Debora ist von einem Wochenendtrip in die Provinz nicht heimgekehrt. Das Mädchen könnte mit ihrem heimlichen Freund durchgebrannt sein, doch dann wird der Freund tot aufgefunden. Wenig später schwimmt am Uferdelta des Río Paraná auch noch eine Frauenleiche. Ist Debora etwa in die Hände von Zuhältern geraten?

Immer wieder „scheint die Gegenwart durchströmt von der Vergangenheit“, eine Vergangenheit, die eng mit der Zwi Migdal verflochten ist. Gemeint ist ein Zweig der jüdischen Mafia, dessen Kerngeschäft im Argentinien der 1930er Jahre tatsächlich die Zwangsprostitution von Frauen aus den osteuropäischen Schteteln war. Die Vergangenheit, das ist auch die Emigrationsgeschichte der Epelbaums auf Karteikarten oder archivierten Fotos, doch diesmal klopft sie blutig und brutal an Ruth Epelbaums Tür. Ruth lässt ihren halbherzigen One-Night-Stand stehen, tauscht Champagner gegen den obligatorischen Matetee. Gemeinsam mit ihrer „Schickse“, der nicht-jüdischen Putzfrau Gladys, fügt Ruth in ihrer Küche eins und eins zusammen, entgegen allen Warnungen. Dass dabei die Wahrheit schließlich ans Licht kommt, ist Ruth Epelbaums Verdienst. Dass sie nur bruchstückhaft sichtbar wird, liegt an den Toten, die auf jedem Friedhof schweigen, selbst wenn der jüdische auf Hebräisch olam ha-emet, Ort der Wahrheit, heißt.

Argentinien ist ein klassisches Einwanderungsland des 19. Jahrhunderts. Auch dass Juden aus Osteuropa vor dem Antisemitismus in die argentinische Provinz oder nach Buenos Aires flüchteten, ist bekannt. Aber was wissen wir über die Welt des argentinischen Judentums? Wer kennt schon die Zwi Migdal, das argentinische Gegenstück zur US-amerikanischen Kosher Nostra?

María Inés Krimer, preisgekrönte Autorin, lange Jahre Anwältin in Paraná und Nachfahrin polnischer und russischer Einwanderer nimmt sich mit ihrem ersten Band der Ruth-Epelbaum-Trilogie, Sangre Kosher, dieses dunklen Kapitels jüdisch-argentinischer Geschichte an. Ihre Figur Ruth Epelbaum ist eine liebenswerte Stadtneurotikerin, hinter deren Fassade sich ein viel zu weiches Herz verbirgt. Aber ist das „Chandler meets Almodóvar“, wie es in der Verlagsankündigung für Sangre Kosher heißt, der es auf die Shortlist des argentinischen Literaturpreises Premio Clarín schaffte? Doch! Ja! Unbedingt!

Sangre Kosher überzeugt mit einem spröden, unaufgeregten Detektivstil, den Krimer milieusicher jiddisch spickt. Es überzeugt auch die almodóvarsche Palette an Frauenrollen: Frauen, die nicht krimiüblich nur Täterinnen und Opferfiguren bleiben. Mutig treten sie gegen Zuhälter, Verführer, korrupte Justizbeamte und Komplizen an und überwinden damit nebenbei noch die misogyne Perspektive des Genres.

Schade nur, dass sich María Inés Krimer damit begnügt, die Vorzeichen einfach umzudrehen. Jüdinnen als Bösewichte wären dann doch wohl zu viel der Modernität gewesen. Lakonisch fasst Ruth Epelbaum die Lage zusammen: „Dass die Zuhälter keinerlei Hemmungen zeigten, Frauen aus ihrer eigenen Gemeinschaft auszubeuten, musste auch mit der Stellung der Frau in ihrer Religion – in der Synagoge – zu tun haben.“ Doch am Ende tötet der Mensch. Entgegen allen Geboten.

*Vele - Am Ort des Verbrechens

Tobias Zielony studierte im englischen Newport Dokumentarfotografie, als ihm die Idee kam, Jugendliche in Jogginganzügen aufzunehmen. „Damals, 1999, hatte ich das Gefühl, alle jungen Leute tragen diese Kleidung“, erzählt Zielony. Beim „Guardian“ fragte man: „Was ist jetzt die Geschichte?“ Und Zielony antwortete: „Na, die Jungs, die da rumhängen, nichts zu tun haben und Jogginganzüge tragen.“ Meint: Tobias Zielony ist kein Künstler, der seine Bilder auf eine stereotype Erzählung reduzieren will, auf Arbeitslosigkeit, Gewalt, das Übliche.

Über „Schrumpfende Städte“ (2004) sagt er, er habe für das Projekt in Halle/Saale fotografiert, ohne etwas von den Problemen zu wissen: Zielony findet es spannend, dass man eigentlich nie genau weiß, wo die Bilder aufgenommen wurden. Unser Krimi-Spezial illustrieren Fotografien aus Tobias Zielonys Buch „Vele“ (Spector Books 2014, 576 Seiten, 40 €) über Vele di Scampia, eine Wohnsiedlung im Norden von Neapel. In den 80er Jahren Schauplatz des Camorrakriegs, gehört der Gebäudekomplex heute zu den größten Drogenumschlagplätzen Europas und symbolisiert die Macht der Mafia in der Region.

Edina Picco schreibt für den Hörfunk und arbeitet gerade an einem Roman

Sangre Kosher – Ruth Epelbaum und die Zwi Migdal María Inés Krimer Peter Kultzen (Übers.), diaphanes 2014, 200 S., 17,95 €

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