Zweiertisch

Reisewege zur Kunst Christoph Geisers neuer Roman "Über Wasser" ist ein Spiel mit den Zeichen

Über Wasser. Passagen nennt der 1949 in Basel geborene und heute in Bern lebende Schriftsteller Christoph Geiser sein neues Buch, seinen sarkastischen Blick auf die neuen Verhältnisse. So spielt er darauf an, unterwegs zu sein, als Passagier im Geleitzug der historischen Veränderung. Zwei Stipendien führen einen Schriftsteller, das Alter ego des Autors, in den Jahren 1999 nach New York und 2000 nach Dresden, an zwei Orte also, wo er besichtigen kann, was von den Utopien geblieben ist, egal ob Freedom and Democracy oder real existierender Sozialismus. Mitten auf dem Ozean, unterwegs in die Neue Welt, beginnt er zu schreiben, setzt dies fort in New York, auf der Rückreise nach Antwerpen und schließlich als Stadtschreiber in Dresden. So versammelt der Band zwölf episodenhafte Texte, die von äußeren Anlässen ausgehen, sich dann aber, gerade indem sie sich einen Reim auf die Welt machen wollen, von ihr lösen, sich zu einer Art Sprachfeuerwerk entwickeln, sich in die Nähe des Kalauers, des Klischees, von Albernheiten und grotesken Imaginationen verlaufen.

Von der ersten Zeile des ersten, "Passagier" überschriebenen Textes spielt Geiser mit dem Amerika-Fragment Kafkas. Kafkas Held Karl Rossmann war von seinen Eltern nach Amerika verbannt worden. Dort sollte er sich finden, seinen Beruf, seine Bestimmung - aber er scheitert. Und als ein Verbannter macht sich auch Geisers Alter ego auf den Weg. Denn es schickt ihn zwar, - die Gesellschaft? - mit Stipendien-Geldern nach New York, doch was erwartet diese Gesellschaft heute von einem Schriftsteller, welche Funktion misst sie ihm zu? Auf dem Ozean, nur das schwankende Schiffsdeck unter den Füßen, vom Untergang bedroht, fällt der Autor aus der Zeit, nähert er sich dem Horizont, dem Rand, über den er endlos hinaus will in die Ewigkeit. Doch dann die Freiheitsstatue schmuddelig im Dunst: New York. Der Einwanderungsoffizier verlangt genaue Angaben über den Zweck der Reise. Wer ist der Reisende? Was schreibt er? Es dauert eine Weile, bis ihm das rettende Passwort einfällt. "Fiction" - und damit ist auch das Leitmotiv des Buchs umrissen: Keine Reality, keine Suche nach Wahrheiten mehr, für die sich ohnehin niemand interessiert, sondern hinein in die Fiktion, hinein in die Kunst.

Die Bilder vom Autor als politische oder moralische Institution, als "Gewissen der Nation", waren Geiser, der einmal Kulturredakteur des schweizerischen Vorwärts war, schon lange suspekt, heute entbehren sie für ihn jeder Grundlage. In seinem letzten Roman, Die Baumeister (1998), näherte er sich so dem 1720 geborenen Architekten Giovanni Battista Piranesi, dem Architekten, der in der Realität nicht bauen durfte und sich in eine phantastische Bauwut auf dem Papier gestürzt hat. Und nun Über Wasser: Als Schriftsteller bleibt Geiser nur die Sprache, bleiben ihm nur Zeichen. Denn auch die Macht, so Geisers These angesichts der Skyline von New York oder des Schatzes der Wettinger im Grünen Gewölbe, braucht keine Bedeutung, mit "Bedeutungen" kann die Kunst ihr nicht beikommen. Sie braucht nur die Zeichen. Also nimmt der nach wie vor politische Autor die Zeichen und spielt mit ihnen. So schleudert er der äußeren Welt den Schrei und das Lachen der Verzweiflung entgegen, triumphiert er mit seiner Lust an der Kunst über die düstere Wirklichkeit.

Mit spürbarer Lust an der Sprache intoniert Geiser in den weiteren Texten die herrlichen Fassaden New Yorks, die riesigen, einladenden Hauseingänge, in die ein Normalsterblicher aber nicht hinein darf, das gleichermaßen DDR- und Amerikagemäße: "Lassen Sie den Stuhl da stehen! Dies ist ein Zweiertisch! Wait to be seated!" Er steigert sich in den skurrilen Versuch, seiner mit dem Stipendium verbundenen Pflicht zu entkommen und in die Südsee, also aus der Welt zu fliehen, und landet schließlich im alten Europa, im beschaulichen Dresden mit seinen Plattenbauten und Ruinen, Galerien und Museen. Bilder sind es, die den Vergleich zwischen ökonomischer Vernunft und romantischem Glanz ermöglichen, darunter auch Adrian Ludwig Richters Überfahrt von Schreckenstein: "Nur wer nichts hat - nichts zu verlieren" - heißt es im Anblick dieses Bildes "kann so glänzen, und: für nichts." An einen Schlusspunkt, an ein Ende kann ein solches Schreiben nicht führen. Die Passagen enden in Dresden mit der Betrachtung eines amerikanischen Bildes - eines wichsenden Knaben.

Christoph Geiser: Über Wasser. Passagen. Amman, Zürich 2003, 320 S., 19,80 EUR


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