Zweifelhafter Deal

Finanzpaket Der Rechtsstaat ist erneut zum Zankapfel geworden – diesmal zwischen den EU-Institutionen
Ausgabe 51/2020
EU-Kommissionspräsidenten Ursula von der Leyen und Bundeskanzlerin Angela Merkel mit einer Handvoll Männer beim EU-Gipfel
EU-Kommissionspräsidenten Ursula von der Leyen und Bundeskanzlerin Angela Merkel mit einer Handvoll Männer beim EU-Gipfel

Foto: Olivier Matthys/Pool/AFP/Getty Images

Erst kommt das Fressen, dann die Moral. Nach diesem Brecht’schen Motto ist Kanzlerin Merkel vorgegangen, als sie für sechs Monate die EU führte. Erst hat sie das neue 1,8 Billionen Euro schwere Finanzpaket durchgeboxt. Zugleich wurde dem Prinzip Rechtsstaat zugestanden, dass die Vergabe von Finanzhilfen künftig an eine unabhängige Justiz gebunden werden soll.

Das Ergebnis des jüngsten EU-Gipfels gibt Merkel scheinbar recht. Weil sie nicht auf die Subventionen aus Brüssel verzichten wollten, sind der ungarische Regierungschef Viktor Orbán und sein polnischer Eidgenosse Mateusz Morawiecki eingeknickt. Sie haben ihr Veto gegen das Finanzpaket zurückgezogen und die Rechtsstaatsklausel geschluckt. Dummerweise ist dabei die Moral auf der Strecke geblieben. Merkel hat sich auf einen faulen Kompromiss eingelassen, der dazu führt, dass Orbán bis zur nächsten Parlamentswahl in Ungarn nichts zu fürchten hat. Der Rechtsstaatsmechanismus tritt zwar formal am 1. Januar in Kraft, doch bis er angewandt wird, dürften noch Monate, wenn nicht Jahre vergehen.

Zunächst soll der Europäische Gerichtshof klären, ob die Rechtsstaatsklausel mit Recht und Gesetz vereinbar ist. Ausgerechnet Ungarns Premier, der sich regelmäßig über Urteile des höchsten EU-Gerichts hinwegsetzt, hat dies gefordert, und Merkel fand es hinnehmbar. Danach soll die EU-Kommission neue Richtlinien zum Rechtsstaat ausarbeiten – auch das für die deutsche Kanzlerin kein Problem.

Sie hat den jüngsten Gipfel genutzt, um der Brüsseler Behörde, die sich immerhin als Hüterin der EU-Verträge versteht, Vorschriften zu machen. Das ruft nun das EU-Parlament mit der Kritik auf den Plan: Der Europäische Rat habe der Kommission keine Vorschriften zu machen, finden die Abgeordneten. Merkels Zusage an Orbán sei nicht bindend.

Wer hat recht? Darüber streiten sogar Europarechtler. Der Rechtsstaat ist erneut zum Zankapfel geworden – diesmal zwischen den EU-Institutionen, die ihn gemeinsam verteidigen sollten. Derweil höhlt die Orbán-Regierung Freiheiten weiter aus. Das Parlament in Budapest hat Homosexuelle vom Recht auf Adoption ausgeschlossen und die Rechte von Menschen aus der LGBT-Gemeinschaft limitiert. Und was macht Merkel? Sie schweigt.

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