Weinäquator wird der 50. Breitengrad genannt, der unter anderem durch Mainz verläuft. Doch eigentlich ist er das schon lange nicht mehr. Die Zeiten, in denen der Weinanbau nördlich dieser Marke als unmöglich galt, sind seit Jahrzehnten Vergangenheit. Erfolgreiche Winzer aus Schweden, Großbritannien oder den Niederlanden haben längst keinen Seltenheitswert mehr. Dafür wird es für die Weinbauern im Süden Europas immer häufiger eng. Dort ist es mittlerweile oft zu heiß für die Trauben. Der Aufwand, die Weinberge zu bewirtschaften, steigt, das Geschäft wird zu teuer. So mancher Winzer hat deshalb aufgegeben. Und in Deutschland stehen rote Traubensorten wie Syrah oder Cabernet Sauvignon in den Feldern, die lange vor allem in S
Zwischen den Reben zischt die Zukunft
Porträt Der Riesling ist der deutscheste der deutschen Weine. Seit der Klimawandel die Temperaturen steigen lässt, macht er den Winzern Sorgen
Illustration: Luca Schenardi für der Freitag
#252;dfrankreich, Spanien oder Kalifornien angebaut wurden. Die Wärme und Sonne, die sie benötigen, um zu wachsen, sind heute keine Mangelware mehr. Es ist unübersehbar: Seit der Klimawandel die Temperaturen steigen lässt, verändert sich der Weinbau.Eine Frage treibt die Winzer um: Wenn das veränderte Klima dazu führt, dass sie immer mehr Sorten aus südlicheren Regionen anbauen können, was bedeutet das umgekehrt für die heimischen Sorten? Vor allem um den Riesling machen sie sich Sorgen. Der Weißwein ist der deutscheste der deutschen Weine, die besten Lagen sind für ihn reserviert. Und er ist ein Exportschlager. Ein Glas Riesling zu bestellen, das ist auch in hippen Restaurants in San Francisco, Tokio oder Stockholm Usus. Seine Struktur ist komplex, er hat viel Säure, aber auch viel Frucht, ist kräftig im Geschmack und von blass- bis goldgelber Farbe. Bereits seit der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert genießen die deutschen Rieslingweine ihren guten Ruf: Damals standen sie erstmals genauso hoch im Kurs wie die berühmten französischen Rotweine.Wie es um seine Zukunft bestellt ist, das wird jetzt sogar von Wissenschaftlern erforscht. Am Ortsrand von Geisenheim im Rheingau simulieren sie den Weinbau unter den Klimabedingungen des Jahres 2050. Yvette Wohlfahrt, warme Jacke, die Wollmütze tief im Gesicht, stiefelt voran in die Weinberge. Kreisförmig angeordnet stehen zwischen den Reben Gerüste aus grauem Metall. Aus ihren grünen Köpfen entweicht Kohlendioxid, Ventilatoren verteilen lärmend das Gas: In unregelmäßigem Abstand, mal im Stakkato, mal mit Pausen, zischt es laut im Weinberg. Nicht nur Riesling, sondern auch roter Cabernet Sauvignon wächst in der Versuchsanlage.Sechs solcher Ringe wurden aufgebaut, FACE wird die Anlage genannt. Die Abkürzung steht für Free Air CO₂ Enrichment, für die Anreicherung von CO₂ in einem Freilandversuch. Das Experiment in den Weinbergen des Rheingaus soll klären, wie der Klimawandel Trauben und Wein verändern wird. Deshalb bekommt die Hälfte der Weintrauben eine größere Portion Kohlendioxid ab. 20 Prozent mehr als der aktuelle Wert: 480 ppm, 480 Teile pro Million. Von einem solchen Volumengehalt des Treibhausgases Kohlendioxid in der Luft gehen Klimaforscher in ihren Prognosen für das Jahr 2050 aus. Wird das Mehr an Kohlendioxid dafür sorgen, dass die Weintrauben anders reifen? Werden sie anfälliger für Schädlinge? Brauchen sie mehr Wasser? Wird der Wein anders schmecken? Wohlfahrt will das herausfinden.Placeholder infobox-1Lange hieß es, dass der Weinbau zu den wenigen Profiteuren des Klimawandels zählt. Viel Sonne, viel Temperatur, mehr Geschmack: So lautete die einfache Formel. Doch schon länger machen sich Zweifel breit. Die bereits heute oft extremen Wetterbedingungen setzen die Winzer unter Druck. Langanhaltende Trockenperioden zwingen sie dazu, ihre Weinberge zu wässern, was jahrzehntelang nicht notwendig, ja nicht einmal erlaubt war. Ein Zuviel an Wasser ist sogar noch gefährlicher: Phänomene wie heftiger Starkregen oder Hagel, die mit dem Klimawandel weiter zunehmen werden, zerstören Trauben und können zu enormen Ernteausfällen führen. Die Unsicherheit, was die Zukunft für den Weinbau bringt, ist groß.„Die Wissenschaft braucht Zeit“, sagt Yvette Wohlfahrt. Mindestens ein Jahrzehnt will sie die Trauben des FACE-Projekts untersuchen, erst auf lange Sicht werden die Ergebnisse wirklich aussagekräftig. Einige Veränderungen hat sie trotzdem schon beobachtet. So wächst der Ertrag, wenn die Pflanzen eine erhöhte Menge Kohlendioxid abbekommen, die Trauben werden größer. Und der Rieslingmost hat mehr Säure als üblich. Der daraus produzierte Wein schmeckt aber bislang trotzdem nicht schlechter. Die Kohlendioxid-Studie ist Wohlfahrts Doktorarbeit, sie arbeitet am Institut für allgemeinen und ökologischen Weinbau an der hessischen Hochschule Geisenheim. Den Weinbau mit wissenschaftlichen Methoden unter die Lupe zu nehmen, das hat dort Tradition. 1872 wurde in der Stadt im Rheingau die Forschungsanstalt für Garten- und Weinbau gegründet. Der Schweizer Önologe und Botaniker Hermann Müller-Thurgau war dort beschäftigt, 1882 züchtete er eine neue Weinsorte: Der nach ihm benannte Müller-Thurgau gilt bis heute als erfolgreichste Weißwein-Neuzüchtung überhaupt.630 Euro für 750 mlNicht einmal fünf Kilometer sind es vom Geisenheimer FACE-Versuchsfeld bis hinauf zum Schloss Johannisberg, dem ersten reinen Riesling-Weingut der Welt, wo seit 1720 ausschließlich diese Traubensorte angebaut wird. Steht man dort auf der Terrasse, blickt man auf das Muster der Weinberge, auf akkurat geschnittene grüne Recht- und Dreiecke, dazwischen die asphaltierten Wirtschaftswege der Winzer, weit unten der Rhein. Auch außerhalb der Saison pilgern die Besucher zu dem legendären Weingut, im Regal im Wein-Shop steht eine Trockenbeerenauslese, 630 Euro der Dreiviertelliter. Zu all den anderen bekannten Weingütern des Rheingaus, deren Rieslingweine so begehrt sind, ist es von hier auch nicht weit: Robert Weil, Baron Knyphausen, Peter Jakob Kühn, Schloss Vollrads, alles klingende Namen für Weinkenner. Auf beinahe 80 Prozent der Anbauflächen in der Region steht die weiße Traube, noch ist die Rieslingwelt hier in Ordnung.Von woanders aber, aus dem badischen Kaiserstuhl etwa, hört man immer häufiger Nachrichten, dass erste Winzer dort ihre Riesling-Weinberge anders bepflanzen, dass sie mittlerweile auf andere Sorten setzen. Denn der Riesling ist anspruchsvoll. Die heißen Sommer, wie sie in den vergangenen Jahren immer zahlreicher geworden sind, tun ihm nicht gut. Zu viel Hitze greift die Trauben an, Sonnenbrandschäden an den Beeren oder Pilzbefall sind die Folge. Und er braucht viel Zeit, um zu reifen. Der Temperaturanstieg aber führt dazu, dass deutsche Winzer auch immer früher ernten müssen. Begann die Rebenernte vor wenigen Jahren nicht vor dem Oktober, zieht es die Weinbauern mittlerweile schon ab Anfang September ins Feld. Dem Riesling fehlt durch die zu frühen Ernten die notwendige Zeit, um einen ordentlichen Geschmack zu entwickeln, er gilt als Cool-Climate-Sorte. Werden die perfekten Anbaugebiete für die Weinsorte in Zukunft also in Cornwall oder auf Gotland liegen?Der Freiburger Winzer Andreas Dilger hat noch nie Rieslingtrauben gepflanzt. Er baut auch keinen Weißburgunder, Grauburgunder, Silvaner, Dornfelder oder Trollinger an. Seine Sorten heißen Solaris, Helios, Regent oder Muscaris. Kaum jemand kennt diese Namen, besonders häufig angebaut werden sie auch nicht, ihr jeweiliger Anteil an der Gesamtmenge des produzierten Weins dürfte den Promillebereich nicht überschreiten. Piwi-Sorten werden Dilgers Pflanzen genannt – was bedeutet, dass es sich bei ihnen um besonders pilzwiderständige Neuzüchtungen handelt. „Das ist kein Begriff, den ich besonders gelungen finde“, sagt Dilger. „Ich spreche lieber von robusten Sorten.“Zum Weinbau ist Dilger durch Zufall gekommen. Mitte der 90er war er auf der Suche nach einem Schrebergarten, er wollte dort gärtnern, ein bisschen eigenes Obst anbauen. Auf dem Stück Land, das er schließlich erwarb, standen aber auch einige Zeilen Weinreben. Dilger behielt den kleinen Weinberg, lernte als Autodidakt die Kniffe des Weinbaus, kaufte bald eine zweite, dann eine dritte Rebenfläche dazu. 2001 sattelte der Sozialwissenschaftler auf Vollzeitwinzer um. In einem ehemaligen Straßenbahndepot in der Freiburger Innenstadt eröffnete er seinen Betrieb, seine Reben stehen nicht weit entfernt am Schönberg und am Lorettoberg. Vier Hektar bewirtschaftet Dilger, ein fünftes will er bald bepflanzen, 25.000 Flaschen Wein produziert er pro Jahr.„Dass ich ökologischen Weinbau betreiben will, das war für mich selbstverständlich“, sagt Dilger. Von den Piwi-Sorten hat er durch die Arbeit des Staatlichen Weinbauinstituts Freiburg erfahren. Dort werden schon seit vielen Jahren Sorten entwickelt, die einen besseren Schutz gegen Pilze wie Falschen und Echten Mehltau oder Botrytis bieten. Ihre bessere Widerstandsfähigkeit erhalten die Sorten dadurch, dass für sie klassische Weinsorten mit unempfindlichen Wildreben gekreuzt werden. Bronner, Merzling oder Souvignier gris wurden die Freiburger Züchtungen getauft, ein Schnellschuss sind sie nicht: 30 bis 40 Jahre kann es dauern, bis eine neue Sorte ihren Weg in die Weinberge findet. Viele hoffen darauf, dass diese Züchtungen helfen, den Weinbau für den Klimawandel zu wappnen.Neue Sorten überleben Hagel„Mich haben die neuen Sorten überzeugt, weil sie den Pflanzenschutz minimieren“, sagt Andreas Dilger, der zu den ersten Winzern in Deutschland zählte, die ausschließlich auf die Piwi-Sorten setzten. Die Piwis kommen seinem Anspruch, nachhaltigen Weinbau zu betreiben, am nächsten. Verglichen mit einem Öko-Winzer, der mit klassischen Weinsorten arbeitet, braucht Dilger nur etwa ein Fünftel der Menge an Pflanzenschutzmitteln. Und er muss seltener mit dem Traktor durch die Weinberge. Das schont den Boden, lässt mehr Biodiversität zu. Piwi-Sorten sind auch besser in der Lage, extremen Wetterphänomenen zu trotzen: Viele von ihnen haben härtere Schalen, überleben deshalb auch kräftigen Hagel.Überzeugungsarbeit leistet Dilger durch Verkostungen. Dass viele Weintrinker skeptisch sind, wenn sie die für sie neuen Sortennamen zum ersten Mal hören, überrascht nicht. Tatsächlich verkaufen sich vor allem seine Cuvée-Weine gut, die aus verschiedenen Sorten gemischt sind und unter den Namen Georges Blanc, Roter Georges und Georges Rosé – nach dem Freiburger Stadtteil St. Georgen – vermarktet werden. „Bei Cuvées sind die Käufer Fantasienamen gewohnt“, sagt der Winzer. Eine Spur Riesling steckt übrigens auch in seinen Weinen: Der weiße Johanniter etwa, ebenfalls eine Freiburger Kreuzung, hat sowohl Riesling wie auch Gutedel im Stammbaum.Wird der deutsche Traditionswein also nur als Überbleibsel, als Teil von neuen Sorten, überleben? Yvette Wohlfahrt, die Wissenschaftlerin von der Hochschule Geisenheim, glaubt das nicht. Mit ihrem Partner, der im Hauptberuf Kellermeister in einem Rheingauer Winzerbetrieb ist, betreibt sie selbst nebenher ein kleines Weingut. „Ob es in 50 Jahren hier noch Riesling geben wird, darum mache ich mir keine Sorgen“, sagt sie. „Der Riesling kann vieles ab. Wenn die Winzer es in Kalifornien, Australien und Neuseeland schaffen, ihn anzubauen, dann wird uns das auch noch lange gelingen.“
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