Im gerade veröffentlichten Drogenbericht ist vor allem von Alkohol und Tabak die Rede; in den sechziger Jahren galt LSD galt als "die" Modedroge. Anlässlich des Todes seines Erfinders, Albert Hofmann, am 29. April erinnert Hans-Peter Waldrich an eine einstmals erfolgversprechende Forschung und den bizarren Aufstieg von LSD zum Ausstiegs-Therapeutikum.
Ich konnte nur noch mit größter Anstrengung verständlich sprechen und bat meine Laborantin, die über den Selbstversuch orientiert war, mich nach Hause zu begleiten. Schon auf dem Heimweg mit dem Fahrrad ... nahm mein Zustand bedrohliche Formen an. Alles in meinem Gesichtsfeld schwankte und war verzerrt wie in einem gekrümmten Spiegel. Auch hatte ich das Gefühl, mit dem Fahrrad nicht vom Fleck zu kommen.
vom Fleck zu kommen. Indessen sagte mir später meine Assistentin, wir seien sehr schnell gefahren. Schließlich doch noch heil zu Hause angelangt, war ich gerade noch fähig, meine Begleiterin zu bitten, unseren Hausarzt anzurufen ... ." So dokumentiert der Bericht über den ersten Selbstversuch mit LSD, den der Naturstoffchemiker der Basler Firma Sandoz, Albert Hofmann, für seinen damaligen Vorgesetzten schrieb.MeskalinoffenbarungEigentlich wollte Hofmann die Alkaloide des sogenannten Mutterkorns untersuchen. Mutterkorn ist ein Pilz, der als Schmarotzer auf Wildgräsern und Getreidearten wuchert, vor allem auf Roggen. Einerseits ein gefürchtetes Gift, dient es andererseits auch als Basis für zahlreiche Heilmittel. Bei der Suche nach Nutzanwendung stieß Hofmann 1943 unvermutet auf Lysergsäurediäthylamid, das er für den Laboratoriumsgebrauch abgekürzt LSD 25 nannte.Noch nie war ein Halluzinogen entdeckt worden, das in so winziger Dosierung eine so eindrucksvolle Art der Bewusstseinsveränderung bewirkte. Sandoz empfahl das unter der Markenbezeichnung Delysid auf den Markt gebrachte Medikament für die Psychiatrie. Laut Beipackzettel sollte es "zur seelischen Auflockerung bei analytischer Psychotherapie" dienen. Es wurde aber auch dem Psychiater selbst zur Einnahme empfohlen. Der Arzt könne so besser nachempfinden, was im Inneren seiner schwierigen Patienten vorgeht.So wurde LSD also ganz selbstverständlich zunächst einmal als Heilmittel betrachtet und keineswegs als Rauschdroge. Ein vergleichbares Halluzinogen, Meskalin, hatte Ende der zwanziger Jahre der Psychiater Kurt Beringer an der Universität Heidelberg erforscht. Natürlich wusste er um die kultische Bedeutung dieser Kakteenknolle bei mexikanischen Indianern. Seine großangelegte Studie mit mehr als 60 Versuchspersonen legte die medizinische und psychotherapeutische Nutzung nahe. Beringer war auch die eigenartig ekstatische Qualität der Meskalinerfahrung aufgefallen, die er als "Meskalinoffenbarung" bezeichnete. "Es bedarf keines weiteren Hinweises auf die Analogien, die die Struktur derartiger Erlebnisse mit der religiöser Erlebnisse hat", so Beringer.Zu Erlebnissen zwischen Therapie und Erleuchtung führten auch die seit 1953 von Aldous Huxley durchgeführten Selbstversuche. Als Beobachter begleitete ihn dabei zunächst der kanadische Psychiater Humphrey Osmond, auf den der Begriff "psychedelisch" zurück geht. "Bewusstseinsenthüllend" sei der therapeutische Gebrauch von Halluzinogenen, mehr noch: "die Seele hervorbringend". LSD führe zu Gipfelerlebnissen, die sowohl als heilsam als auch als mystisch zugleich betrachtet werden müssten.Auch der Leiter der Psychotherapeutischen Abteilung der Göttinger Psychiatrischen Universitätsklinik,Hanscarl Leuner, war von der heilenden Wirkung der Halluzinogene überzeugt. 1956 begann er LSD zu verwenden. Auch ihn beeindruckte die eigenartige Tendenz dieser Substanz, mystische Ekstasen auszulösen. In England, USA, Australien, Dänemark, Holland und der CSSR fanden an zahlreichen Universitäten ähnliche Forschungen statt. Eine aufsehenerregende Variante der LSD-Therapie betrieb der Leiter der Psychiatrischen Universitätsklinik in Leiden (Holland), Professor Jan Bastiaans, der sich des als therapieresistent geltenden "Konzentrationslager-Syndroms" annahm.Vom Therpeutikum zur StraßendrogeDoch Anfang der sechziger Jahre geriet LSD auf die Straße. Dort produzierte es phantastische "Reisen", aber auch immer wieder entsetzliche Horrortrips. "Die bisherige Geschichte von LSD zeigt zur Genüge, was für katastrophale Folgen es haben kann, wenn seine Tiefenwirkung verkannt wird und wenn man diesen Wirkstoff mit einem Genussmittel verwechselt", so Albert Hofmann. Die Dramatik des Erlebens unter dem Einfluss von LSD benötigt die Lenkung und Leitung durch den Therapeuten und ist nur für besonders disponierte Menschen wirklich sinnvoll. Dann allerdings, so Hofmann, "erfährt das alltägliche Weltbild eine tiefgreifende Umwandlung und Erschütterung." Eine solche vorübergehende Destabilisierung fester Vorstellungen könne heilsam sein.Die Reaktion der Staatsgewalt auf die Missbrauchszene war radikal. In Bausch und Bogen wurde alles verfolgt und verboten, was mit Hofmanns Entdeckung zu tun hatte - auch die Forschung. Leuner musste seine Experimente beenden. Die von ihm gegründete Europäische Ärztliche Gesellschaft für Psycholytische Therapie stellte 1971 ihre Tätigkeit aufgrund des LSD-Verbots ein. 1965 gab es in den USA noch über 200 Forschungsprojekte, bei denen LSD oder andere Halluzinogene eine Rolle spielten. Sie waren in kürzester Zeit vom Erdboden verschwunden.Berühmt waren insbesondere die Forschungen am Spring Grove State Hospital der John Hopkins Universität in Maryland (USA). Mit hoher LSD-Dosierung wurden bei final Krebskranken mystische Erleuchtungszustände provoziert, Ängste und Schmerzen reduziert und ihnen damit ihr schwerer Weg erleichtert. 1976 wurde die psychedelische Arbeit am Spring Grove vollständig gestoppt. Der größte Teil des Forschungsstabes wurde entlassen oder trat von sich aus zurück.Weltweit wollte sich schließlich kaum noch ein Wissenschaftler oder Arzt sagen lassen, er verwende Suchtmittel für Forschungs- oder Behandlungszwecke. Das Urteil der Öffentlichkeit und des Gesetzgebers stand fest, bevor eine unabhängige Forschung abschließende Ergebnisse vorlegen konnte. Leuner schätzte, dass in der Bundesrepublik die Behandlungen bei etwa tausend Patienten plötzlich eingestellt werden mussten. Forschungsprojekte wurden abgebrochen, Dissertationen und Habilitationen blieben unbeendet. So stagnierte die Halluzinogen-Forschung - von wenigen Sondergenehmigungen abgesehen - mehr oder weniger auf dem Stand von etwa 1975. Was es darüber hinaus dazu zu sagen gibt, ist Vorurteil oder aber Ergebnis von Bemühungen in der Illegalität. Albert Hofmann, der am 29. April 2008 im Alter von 102 Jahren verstarb, hat nie für den Alltagskonsum von Halluzinogenen plädiert. "Von Zeit zu Zeit jedoch benötigen wir eine Vision, einen Überblick über unser Leben und einen Einblick in dessen geistigen Urgrund, um unseren Platz im Universum und unsere Alltagspflichten und Probleme in der rechten Sicht und Bedeutung wahrzunehmen." Dass dies unter kontrollierten Bedingungen mit LSD der Fall sei und LSD, aber auch andere Halluzinogene, hochpotente Therapeutika seien, war Hofmanns feste Überzeugung.