Kino In Annika Pinskes „Alle reden übers Wetter“ versucht eine Bildungsaufsteigerin zwischen Universitätsbetrieb und fremdgewordener ostdeutscher Heimat zu sich selbst zu finden
Clara (Anne Schäfer) wandelt zwischen den Welten. Und ist in keiner richtig zu Hause. In der einen schreibt sie an ihrer Doktorarbeit, arbeitet als Philosophie-Dozentin an einer Berliner Universität, versucht sich mit dem Institut und den Gepflogenheiten der Mitarbeiter zu arrangieren. Die andere ist ihre Heimat, die ihren Namen doch nicht recht verdient.
Das Dorf in Mecklenburg-Vorpommern, in dem sie aufgewachsen ist, ist ihr fremd geworden. Vor allem seine Menschen, deren Einstellung zum Leben. Sosehr sie sich auch bemüht, in beiden Welten Fuß zu fassen, überlagert die eine doch stets die andere, scheint durch, und macht so ein echtes Ankommen unmöglich.
Regisseurin und Drehbuchautorin Annika Pinske hat mit Alle reden übers Wetter eine bemerkenswerte Mili
eine bemerkenswerte Milieustudie vorgelegt, die mit frappierender Präzision die ständigen Bewährungsproben seziert, denen sich Bildungsaufsteiger gegenübersehen.Dabei bleibt sie stets nahe an ihrer Protagonistin und ihren individuellen Erfahrungen. Dass Pinskes Abschlusswerk an der DFFB ein sehr persönlicher Film ist, ist unverkennbar. Zu oft treffen ihre Dialoge den Nagel auf den Kopf, um nicht gelegentlich selbst dabei gewesen zu sein.Zunächst wendet sich Alle reden übers Wetter den Fallstricken der akademischen Welt zu. Da ist die hippe WG in Kreuzberg, aus der Clara als 38-Jährige hervorsticht, die mühsame Affäre mit Student Max (Marcel Kohler), die sich leicht als ein weiterer desperater Versuch lesen lässt, irgendwo aufgehoben zu sein oder zumindest ein aufregendes urbanes Leben zu führen. Und schließlich das von ihr gehaltene Seminar über Utilitarismus, in dem sich selbstgewisse männliche Studenten zu Wort melden, um ihr und weiblichen Kommilitoninnen ausgerechnet Geschlechterfragen zu „mansplainen“.Eine besondere Stärke des Films ist es, in pointierten Szenen persönliche Erlebnisse seiner Protagonistin mit gesamtgesellschaftlichen Debatten zu verbinden, im Kleinen das Große zu referieren. So auch während der prätentiösen Feierlichkeiten anlässlich der Emeritierung eines Professors. Dort entspinnt sich gegen Ende des Abends zwischen Champagner und Häppchen eine mit schlecht kaschierter Gleichgültigkeit geführte Debatte über die Umstrukturierung der Universität nach der Wiedervereinigung und plötzlich zunichtegemachte Karrieren.Ostdeutsch, Arbeiterkind, FrauClara ist in diesem sozialen Gefüge eine Außenseiterin, als Ostdeutasche, als Arbeiterkind, vielleicht sogar als Frau. Offensichtlich erschöpft von der Rolle des Underdogs, erfindet sie spontan einen Diplomaten-Vater. Wahrscheinlich auch, um sich auf die Frage eines besonders standesbewussten Professors nach ihren Eltern nicht die Blöße geben zu müssen, wahlweise für ihre Bemühungen als Frau aus einfachen Verhältnissen gelobt oder ihre bildungsferne Herkunft bemitleidet zu werden.Am anschaulichsten wird Claras ambivalentes Verhältnis zur akademischen Welt an der Beziehung zu ihrer Doktormutter Margot (Judith Hofmann). Obwohl sie Margots Intellekt bewundert, ist sie gleichzeitig von den damit einhergehenden selbstgefälligen Posen genervt. Etwa, wenn Margot auf der Rückfahrt den Fahrradhelm abgehoben als „absolute Verneinung des Lebens“ bezeichnet und seinem Träger „Leben und Tod, darunter machen wir’s nicht!“ hinterherruft.Eingebetteter MedieninhaltAls sie kurz darauf mit Teenager-Tochter Emma (Emma Frieda Brüggler) zum 60. Geburtstag ihrer Mutter Inge (Anne-Kathrin Gummich) nach Mecklenburg-Vorpommern aufbricht, könnte man annehmen, dass der Kontakt zu bodenständigeren Menschen ein heilsames Kontrastprogramm darstellen könnte.Doch als sie mit ihrer Mutter über die Universität spricht, tritt auch hier eine schier unüberwindbare Kluft zutage. Inge interessiert sich nur dafür, wie lange die Tochter noch an der Doktorarbeit schreiben muss, nicht für ihren Inhalt. Clara hakt nach, ob sie den Text nicht einmal lesen wolle. Die Mutter zögert, ergänzt verlegen: „Ditt is mir alles zu verkorkst, zu gestelzt!“Subtil, aber eindrücklich schildert Pinske das leise Erschrecken der Tochter darüber, dass sie mit ihrer Mutter nicht (mehr) über das reden kann, was sie bewegt. Wenn, frei mit Ludwig Wittgenstein gesprochen, die Grenzen der eigenen Sprache die Grenzen der eigenen Welt bedeuten, hat Clara eine neue gelernt, die in ihrer Heimat aber niemand spricht. Für die Tochter bringt das ein Gefühl der Isolation mit sich, für die stolze Mutter eines der Scham.Wie wenig sie noch mit ihrer Heimat verbindet, wird auf dem Fest – ein Spiegel zur besagten Emeritierungsfeier – noch spürbarer. Zwischen Volksmusik, Alkohol und sexistischen Witzen der Dorfälteren wird für sie als eine, die sich als „Studierte“ angeblich „für etwas Besseres hält“, jeder Kontakt zur Konfrontation.Alle reden übers Wetter ist trotzdem kein Film, der sich in Selbstmitleid ergeht. Das offenbart sich spätestens in einem Gespräch, das Clara mit ihrem Exfreund Marcel (Max Riemelt) führt, der im Alter von 39 Jahren bereits am Ende seiner durchschnittlich-ländlichen Lebensplanung (Haus bauen, Familie gründen, Baum pflanzen) angekommen ist.Als er sie danach fragt, ob ihr die Uni denn Spaß mache, beginnt sie davon zu erzählen, was es für sie bedeute, einen Gedanken tatsächlich zu fassen zu bekommen, ihn aufzuschreiben, und mit welchem Hoch die Vorstellung verbunden ist, dass ihn irgendjemand liest und genauso versteht wie sie. Vielleicht, so erklärt sie, sei das für sie so eine Art Heimatgefühl. Damit ist Pinskes Spielfilmdebüt auch ein entschlossenes Plädoyer, dass das wahrhaft eigene Glück nur abseits tradierter Lebenswege zu finden ist und danach zu suchen die Mühe allemal wert ist.
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