Zwischenspiele zum Tod

Grenzerfahrung Wojciech Kuczoks Erzählungsband "Im Kreis der Gespenster"

Ein junger, erfolgreicher Warschauer Geschäftsmann, dem ein Bettler zur Erkenntnis seiner Homosexualität verhilft; ein Scheidungskind, dem die prallen Brüste des Bauernmädchens Marylka zur Offenbarung werden; eine alte Frau, die sich an Allerheiligen mit letzter Kraft zum Grab ihres Mannes zu schleppen versucht und auf dem Rückweg stirbt; ein Therapeut, den ein vereinsamter Patient erschießt; ein leidenschaftlich verliebtes Paar, dessen weiblicher Teil schon von jenseits des Grabes redet - das sind die Helden von Wojciech Kuczoks unter dem Titel Im Kreis der Gespenster gesammelten Erzählungen. Alt und Jung, Mann und Frau, Großstadt und Dorf, arm und reich sind darin vertreten, und immer geraten die Figuren in Grenzsituationen, in existenzielle Krisen, die ihrem Leben eine entscheidende Wendung geben, und sei es in den Tod.

Große Themen, doch man fragt sich: Wäre es nicht ein paar Nummern kleiner gegangen? Hätte nicht statt fünf Grenzerfahrungen eine genügt? Warum versetzt sich ein noch nicht 35-jähriger Autor in die Agonie einer alten Frau, um gleich darauf die letzte Lebensstunde eines vom Trennungsschmerz gebeutelten Therapeuten zu beschreiben? Worauf kann, wer so pathetische Themen gestaltet, zurückgreifen, wenn nicht auf Klischees, Anempfundenes, Kitschig-Gefühliges? Werden hier nicht Coming Out, Altersdepression, Trauerarbeit zu Etüden herabgewürdigt, mit denen ein noch tastender Schriftsteller sich ungestüme Gestaltungskraft zu beweisen sucht?

Die vier "Interludien" des Buches, die den Leser an den sexuellen Fantasien einer jungen Nonne teilhaben lassen, an einer am väterlichen Starrsinn scheiternden Versöhnung mit dem Sohn, der zum Mörder wurde, an der Wahnvorstellung einer Schlaganfallspatientin, sie habe einen inzwischen 20-jährigen Sohn, und an den Hassgefühlen einer Prominentengattin auf den Mann, der sie zu einem Leben im goldenen Käfig verdammte - diese kurzen und qualvoll überambitionierten Zwischenspiele zeigen noch klarer als die Erzählungen, dass Kuczoks Prosaband eine Sammlung übersteigerter, dabei aber kurzatmiger Gelegenheitstexte ist, deren erregter Sprachgestus dringend der Abkühlung bedurft hätte.

Besonders im Vergleich zu Kuczoks preisgekröntem Roman Miststück (2004), bei dem ein als Kind misshandelter Mann nüchtern von seiner Liebesunfähigkeit als Erwachsener berichtet und so eindringlich wie sensibel den seelischen Schäden nachforscht, die ihm die Gewalt des Vaters zugefügt hat, fällt die Hohlheit der Sprache auf, das Wortgeklingel. Bleibt zu hoffen, dass dieser so anstrengende wie unerbittliche Roman einer Traumatisierung bald ins Deutsche übertragen wird - er hat es zweifellos viel mehr verdient als Kuczoks auftrumpfende Selbstinszenierungen.

Wojciech Kuczok: Im Kreis der Gespenster. Erzählungen. Aus dem Polnischen von Friedrich Griese. Suhrkamp, Frankfurt am Main 2006. 142 S., 19, 80 EUR


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