Zwischentöne sind nur Krampf

VÄTERCHEN FRANZ Der Liedermacher Franz Josef Degenhardt wird Siebzig

Es ist still geworden um Franz Josef Degenhardt - wie um die Liedermacherei, für die er wie kein anderer steht, im allgemeinen. So einer passt nicht in eine politische Landschaft, in der der Vorsitzende einer Partei, deren Mitglied er einst war, seine uneingeschränkte Solidarität dem Präsidenten des reichsten und mächtigsten Landes auf dieser Erde versichert. Das Wort Solidarität hat für Degenhardt noch einen anderen Klang. Seine uneingeschränkte Solidarität gehörte stets den Erniedrigten und Beleidigten, den "Schmuddelkindern", denen er in seinem bekanntesten Lied ein unübertroffenes Denkmal gesetzt hat.

Dabei kommt Degenhardt nicht aus der Arbeiterbewegung, der er sich heute zugehörig fühlt. Er hat das katholisch-westfälische Milieu, aus dem er stammt, in seinen Songs immer wieder thematisiert, mal fast nostalgisch, häufiger kritisch - freilich ohne Häme. In Degenhardts anhaltendem Moralismus treffen sich Werte, die das Urchristentum mit der sozialistischen Tradition teilt.

Anders als Helmut Kohl, der erst kürzlich gegen diese Kennzeichnung der fünfziger Jahre wetterte, empfand Degenhardt, in Übereinstimmung mit vielen Deutschen seiner Generation, die Adenauerzeit als miefig und reaktionär. Von Saarbrücken aus, wo der gelernte Jurist als Assistent an der Uni arbeitete, hatte er einen privilegierten Ausblick zum "Erzfeind" Frankreich, wo damals ein gerade zehn Jahre älterer Mann namens Georges Brassens auf der Gitarre klimperte und selbst verfasste freche Chansons sang. Anfang der sechziger Jahre demonstrierte Degenhardt, der für seine Fans bald zum Väterchen Franz wurde, dass man auch in deutscher Sprache zu einfachen Melodien und mit unkomplizierten Gitarrengriffen Geschichten erzählen konnte, über die Schattenseiten des gepriesenen Wirtschaftswunders, über die bundesrepublikanische Alltagswirklichkeit.

Bis zum Ende des Jahrzehnts radikalisierten sich seine Texte. Die Studentenrevolte lieferte den politischen, eine anwachsende Liedermacherszene, die sich von 1964 bis 1969 alljährlich auf der Burg Waldeck im Hunsrück traf, den kulturellen Kontext. Auf dem Höhepunkt dieser Entwicklung verkündete Degenhardt: "Zwischentöne sind nur Krampf im Klassenkampf."

Er hat sich an diese Maxime nicht gehalten. Wie kaum ein zweiter, vermochte er in seinen Liedern Poetisches mit kompromisslos Politischem auf einen Nenner zu bringen. Dabei entging er der Versuchung zur Sentimentalität durch Satire. Unter den deutschen Liedermachern ist er der genaueste Registrator von Jargon. Er schlüpft in die Rollen derer, die er der Lächerlichkeit preisgeben möchte, und simuliert, nur geringfügig übertrieben, deren Rede. Ihm verdanken wir unsterbliche Figuren wie den alten Senator, den Notar Bolamus oder die smarten Managertypen der achtziger und neunziger Jahre, aber auch den liebevoll begleiteten Altkommunisten Rudi Schulte.

Vergangenen Montag wurde Franz Josef Degenhardt siebzig. Wir heben das Rotweinglas und wünschen Gesundheit und ein langes Leben. Und uns weitere neue Lieder. Wir brauchen sie mehr denn je, inmitten all der falschen Töne.

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