Zynische Logik sticht Haltung

SPD Die Parteiführung droht im Angesicht des Unionsstreits wieder einmal eine Gelegenheit zu verpassen, Haltung zu zeigen
Ausgabe 27/2018
Die SPD ist die einzige Partei, die das Kunststück beherrscht, schon vor dem Aufstehen umzufallen
Die SPD ist die einzige Partei, die das Kunststück beherrscht, schon vor dem Aufstehen umzufallen

Foto: Sammy Minkoff/Imago

Irgendwann an jenem vergangenen Montagabend wird Angela Merkel an die SPD gedacht haben. Ob der andere Koalitionspartner das mitmachen würde, was sie gerade mit der CSU aushandelte? Ob die Sozialdemokraten nicht weitere Verschärfungen in der Asylpolitik ablehnen würden?

Aber dann ist der Kanzlerin sicher eingefallen, was sie schon oft erlebt hat: Die SPD ist die einzige Partei, die das Kunststück beherrscht, schon vor dem Aufstehen umzufallen.

Tatsächlich war der folgende Tag kaum angebrochen, da häuften sich die entsprechenden Signale: Der Vizevorsitzende Ralf Stegner, dem manchmal immer noch das Etikett „Partei-Linker“ angeheftet wird, bat nur um sprachliche Korrektur: „Transitzentren“, das klinge nach „Kampfbegriff“, man solle es doch irgendwie anders nennen. Eine echte Partei-Linke wie Hilde Mattheis stand mit ihrer ablehnenden Haltung ziemlich allein da.

Am Mittwoch, einen Koalitionsausschuss später, zeichnete sich die Selbstaufgabe dann noch klarer ab: Das mit den Transitzentren sei doch etwas ganz anderes als 2015, als man sie abgelehnt hatte, hieß es jetzt. Es betreffe nicht so viele Menschen wie damals – als seien Freiheitsrechte von der Zahl der Betroffenen abhängig. Und, so die zynische Logik des Parlamentarischen Geschäftsführers der SPD-Fraktion, Carsten Schneider: Ganz geschlossen seien die Zentren schließlich nicht, jeder könne sie verlassen, allerdings nur in eine Richtung: dahin, wo er hergekommen ist. Was die dann später von Nahles im Bundestag ausgerufene Devise „Keine nationalen Alleingänge, rechtsstaatliche Verfahren müssen eingehalten werden, geschlossene Lager lehnen wir ab“ wert ist, wird sich frühestens beim Koalitionsausschuss an diesem Donnerstah zeigen.

Wieder einmal droht die Führung der Sozialdemokratie es zu versäumen, Haltung zu zeigen. Wieder einmal fürchtet sie offensichtlich den Vorwurf, nun sei sie es, die die „Stabilität“ gefährde. Wieder einmal hat sie nicht verstanden, dass es etwas anderes ist, aus einer klaren, an Menschenrechten orientierten Haltung heraus dem Abbau der Flüchtlingsrechte deutlich zu widersprechen, als wie Horst Seehofer und Co. aus populistischem Kalkül die AfD zu imitieren. Wieder hat sie sich Fesseln angelegt: Sie kann nur hoffen, dass Seehofers Rücknahme-Verhandlungen mit Österreich und anderen scheitern – was allerdings garantiert den nächsten Koalitionsstreit zur Folge hätte.

Natürlich ist das Dilemma der SPD nicht einfach erfunden: Tatsächlich hält die Mehrheit in Politik und Medien die vermeintliche „Stabilität“ einer endlich wieder geräuschlos waltenden Regierung für wichtiger als Nebensachen wie Gerechtigkeit oder Menschenrechte. Dass der Preis für diese großkoalitionäre „Stabilität“ im stetigen Aufstieg der radikal rechten „Alternative“ besteht, hat sich offensichtlich immer noch nicht herumgesprochen. Als bestünde nicht genau darin die eigentliche Gefahr für die Stabilität der Demokratie.

Die SPD hat diese Gefahr ignoriert, als sie nach der Bundestagswahl in die gar nicht mehr so große Koalition eingetreten ist. Und sie verweigert sich auch jetzt ihrer demokratischen Verpflichtung, für politische Alternativen einzutreten: in der Flüchtlingspolitik, in Europa und anderswo. Auch das Fünf-Punkte-Papier zum Asyl, das die Sozialdemokraten zwischendurch präsentierten, war nicht viel mehr als eine Erinnerung an die ohnehin schon problematischen Kompromisse des Koalitionsvertrages.

Insofern ist das Verhalten der SPD-Spitze wenigstens konsequent: Wenn man schon keine eigenen Konzepte hat, braucht man auch nicht dafür zu kämpfen. Dann lieber weiter so, bis auch die „GroKo“ unter die 50 Prozent gefallen ist. Spätestens 2021.

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