Zwischen Rede und Gelaber

Rhetorik Notizen zur zerstörten Redekunst deutscher Politiker

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Die grottenschlechte Redekunst der Granden des Landes deprimiert die Öffentlichkeit zusehends; die schärfste Waffe eines Politikers, sich an die Öffentlichkeit zu wenden und um deren Gunst zu werben, ist stumpf wie nie zuvor. Zu jedem Thema müssen sich die Parteien äußern, „Pressestatements“ am laufenden Band. Viele davon ist bekanntlich rhetorischer Mist! Der Nationalsozialismus des wortgewaltigen Obernazis Hitler hat eben doch seine Spuren hinterlassen, auch in diesem Gelaber.

Die überzeugend-maskuline Rhetorik eines starken deutschen Politikers, der sich Visionen für das „deutsche Vaterland“ ausmalt ist heute nur von Radikalen verantwortbar. Die etablierten Parlamentsparteien – bis auf Teile der Linkspartei – hätten Scharm, mit aufgebauschter Rhetorik an alte schwarz-weiße Bilder zu erinnern.

Also wenden wir uns der Linkspartei zu.

Als vielleicht bester Redner des deutschen Bundestages hat sich Gregor Gysi, Fraktionsvorsitzender der Linkspartei, einen Namen gemacht. Der gelernte Jurist als unverkennbarer Verfechter des „demokratischen Sozialismus“ weiß um seine starke Position in der Partei und bekräftigt diese selbstbewusst in der Öffentlichkeit. Exemplarisch hierzu kann seine berühmt gewordene „Wutrede“ des Göttinger Parteitages 2012 herangezogen werden.

Selbstbewusst tritt der ehemalige PDS-Vorsitzende vor die Delegierten und beginnt zunächst auf üblichen Gysi-Niveau seiner Rede, welches ohnehin schon unweit höher liegt, als das eines Philipp Rösler oder einer Katja Kipping. Sporadisch baut er immer wieder einen progressiven Druck seiner Worte auf, die ihn in Redegeschwindigkeit, Abhaken der Worte und Betonung der Satzenden regelrecht rotieren lassen. Die Sätze verschmelzen, Gysi kocht, sein Gesicht wird rot – „Was ist denn eigentlich so schlimm daran zu akzeptieren, dass wir im Osten eine Volkspartei sind? Was ist denn eigentlich so schlimm daran, umgekehrt zu akzeptieren, dass wir im Westen eine Interessenpartei sind? Warum kann uns das nicht bereichern, warum geht es nicht zusammen? Ich will nicht begreifen, dass es uns spaltet!“ Beim letzen Ausruf geht ihm die Luft aus, der Applaus der Zuhörer lässt ihm Zeit zum Luftholen.

Eine solche Kritik an die eigene Partei ist in anderen politischen Lagern kaum wahrzunehmen. Während diese Worte in Härte, Unausgewogenheit und Generalisierung kaum von den dumpfen Wutrufen der Straße zu unterscheiden sind, erzählt Rösler - dessen FDP in einer weit größeren Krise steckt als die gespaltenen Linke - immer noch das Märchen von der in sich geschlossenen Partei, die ihren doch Vorsitzenden voll und ganz unterstützt; man ist sich sicher, dass der Einzug in der niedersächsischen Landtag so sicher wie der Tod ist. Das kauft ihm bloß keiner ab.

Während Gysi seine parteiinterne Machtposition ausnutzen kann, einfach sagt was er denkt und dabei seinen Emotionen freien Lauf lässt, fühlt sich Rösler in ein enges Korsett seiner FDP gezwängt, was ihn in vielerlei Hinsicht alles andere als authentisch wirken lässt. Der FDP-Chef wirkt in seinen Reden als rundgeschliffener Parteisoldat – Profil, Persönlichkeit und demonstrative Eigenständigkeit lässt er vermissen. Hauptsache ein Satz wird so betont wie der andere, die Silben gehen ineinander über, als ob er nur eine sprechen würde – so redet kein normaler Mensch.

Von Politikern wird zunehmend erwartet in der Öffentlichkeit als eigene Persönlichkeit aufzutreten, die sich nicht ausschließlich auf die Partei beruft, sondern stattdessen auch den Mut fasst, aneckende Gedanken zu formulieren. Das Publikum erwartet von den Mächtigen eine Sprachatmosphäre, die der eines vertraulichen Vieraugengespräches ähnelt. Wir sehen uns nach offener und ehrlicher Behandlung – auch dem Anschein nach.

So trifft Gysi genau diesen Nerv, genau wie Christian Lindner, Wolfgang Kubicki (beide FDP) und Wolfgang Bosbach (CDU).

Sie könnten dem Philipp doch mal Nachhilfestunden geben.

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Geschrieben von

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