Aus dem Heimatland, an die fremde Front..

Asylrecht Das deutsche Einwanderungs- und Asylrecht ist juristisch schwierig und menschlich oft schwer aushaltbar - so auch im Fall von Nare.

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Das deutsche Asyl- und Aufenthaltsrecht wird in der Uni den Nachwuchsjuristen, wenn nur in Grundzügen beigebracht. Falls es dann doch im Examen auf die Kandidatin oder den Kandidaten wartet, genügen für das Bestehen meist die Grundkenntnisse aus dem Verwaltungsrecht. So sollte es sein, dass der Staat dich als Bürger vor machbare Aufgaben stellt. Willst du Jurist werden, brauchst du ein Examen.

Die Sorgen davor können als existenziell empfunden werden und stellen die Teilnehmer bundesweit vor große Probleme - doch am Ende sind sie es nicht. Für nicht wenige Examensteilnehmer kann sich das Scheitern im Nachhinein als die größte Chance herausstellen - kann man doch endlich machen, was man immer wollte: Journalist werden, mit Kindern arbeiten, nach Spanien auswandern.

Mit den wirklich existenziellen Sorgen des Aufenthalts- und Asylrechts kämpfen Menschen wie Nare. Sie sind nach Deutschland geflüchtet. Sie kämpfen nicht um einen Titel oder Abschluss, sondern um die Existenz. Diesmal geht es jedoch tatsächlich um alles: Verlieren Sie, verlieren Sie alle ihre Möglichkeiten. Sie müssen zurück in ein Land, im dem Sie genau diese nicht haben.

Etwa, zurück nach Armenien. Eingeklemmt zwischen der Türkei und Aserbaidschan, hat es der bewaffnete Konflikt um Bergkarabach erst letztes Jahr wieder in die Weltöffentlichkeit gebracht. Jungen, armenischen Männern, die in das Land abgeschoben werden, droht immer dasselbe Schicksal: Mindestens 24 Monate Wehrdienst. Falls der Konflikt mit Aserbaidschan wieder aufflammt - Kampfeinsätze, Frontdienst. Dabei will Nare doch Gymnasiallehrer werden, steht kurz vor dem Bachelor.

Stattdessen heißt es bald vielleicht kämpfen - für ein Land, in dem er nie war, mit einer Waffe, die er nicht benutzen will.

Nare spricht nicht einmal armenisch. Seine Eltern sind Mitte der Neunziger nach Deutschland geflüchtet, kämpften um die Anerkennung ihrer Schutzwürdigkeit schon vor höchsten Gerichten. Beide Söhne sind in Deutschland geboren, beide studieren, beiden droht die Abschiebung

Die Eltern durften bis weit in die 10er Jahre hinein nicht arbeiten. Nare schlägt sich sein Leben lang - in dem Land, in dem er auf Lehramt studiert - mit Duldungen herum. Man merkt, es gibt nur ein Land, zu dem Nare eine echte Beziehung hat. Es ist das Land, in dem er aufgewachsen ist, es ist Deutschland.
Es grenzt beinahe an Ironie. Der Sohn soll ein Vierteljahrhundert später zurück in den Konflikt abgeschoben werden, vor dem die Eltern flüchteten. Damals kostete der Bürgerkrieg etwa 30.000 Menschenleben.

Nare spricht perfektes Deutsch, macht weder den Behörden noch Deutschland irgendwelche Vorwürfe. Man merkt, es ist sein Heimatland. Es ist für den Ihn absurd, dass er schon bald in Armenien im Militärdienst, im Zweifel an der Front eingesetzt werden könnte. Vielleicht gibt es bald dort wieder Krieg, so sagt er.
Die Angst und der Druck, der aufgrund der Situation auf der Familie lasten, sind nicht vorstellbar.
Die Familie bemüht sich redlich, alle notwendigen Nachweise zu erbringen, und macht seit Tag eins im Asylverfahren korrekte Angaben. Die Angst, der ständige Druck - daran hat er sich gewöhnt, sagt Nare. Er kenne es nicht anders.

Da die Familie ihre Herkunft bei Ankunft nicht zweifelsfrei nachweisen konnte, wurde Sie bisher nur geduldet. Nach über einem Jahrzehnt gab es dann für einige Zeit einen befristeten Aufenthaltstitel. Das Amt beschuldigte die Familie dann aber jedoch der Fälschung ihrer Identität. Ein Vorwurf, den die Familie heute zwar faktisch ausräumen kann - der Klageweg ist aber mittlerweile erschöpft. Verlaufen im Irrgarten des Ausländer- und Asylrechts, geschaffen von Juristen und Politikern. Deutschland mag seine Bürger vor machbare Aufgaben stellen. Zu beweisen, dass du ein Recht hast, in diesem Land zu sein, macht es Dir aber oft so schwierig wie möglich.

Erschöpft, so klingt auch Nare am Telefon. Man hofft auf den nächsten Anwalt, auf den nächsten Termin. Dass die Familie sich bei dieser Odyssee auch finanziell bis in den Ruin verausgabt, erscheint wie eine Randnotiz.
So wie dieser Familie und diesem jungen Mann geht es in Deutschland vielen Menschen. Die Zahl der Ausreisepflichtigen liegt alleine in der Hauptstadt Berlin bei über 15.000.
Politiker warnen mit solchen Zahlen gerne vor einem Kontrollverlust - oder, insbesondere nach Gewalttaten, versprechen konsequentere Abschiebungen. In Wahrheit stecken hinter diesen Zahlen vor allem viele Schicksale wie Nare's.

Falsche Prioritäten

Die Öffentlichkeit sollte die Politik weniger dafür zur Rechenschaft ziehen, wie viel, sondern wer abgeschoben wird. Sonst trifft es am Ende die Falschen - die unbescholtenen aus der Mitte der Gesellschaft. Man will gar nicht von Integration reden, es klingt, als habe ein Prozess stattfinden müssen. Diese Menschen sind Deutschland.

Anstatt dass man diese Menschen einfach ihr Leben leben lässt, sie ihren Teil zur Gesellschaft beitragen lässt, werden Sie als erste abgeschoben - vor allem, weil Deutschland es kann.
Schaut die Gesellschaft nur auf die Zahlen, werden die Behörden und Politiker von den Medien an diesen gemessen, ergibt das einen grotesken Effekt. Menschen mit guter Entwicklung, die sich niemals etwas zuschulden haben kommen lassen, werden aus den Universitäten und Schulen geholt. Ihnen wird man habbar, man weiß, woher Sie kommen. Passdokumente müssen meist nicht erst aufwändig bei Botschaften neu beschafft werden, die Herkunft nicht aufwändig geklärt werden.

Diese Menschen dachten, dass derjenige, der sich gut verhält, auch gut behandelt wird. Diese Fairness muss sich Deutschland aneignen. Hierzu muss Zuwanderung als Chance verstanden werden. Keine Abschiebung nach Zahlen, sondern nach Zweck. Wie lange noch möchte sich dieses Land den grauenhaften und selbstschädigenden Luxus leisten, Menschen abzuschieben, die sich in unserem Land redlich um eine Zukunft bemühen, sich an die Regeln halten und hier ausgebildet worden sind?

Selbst, wenn eine Geschichte am Ende gut für den Betroffenen ausgeht - der Schaden ist bereits angerichtet. Wer ein Vierteljahrhundert, sein ganzes Leben, mit der Angst vor Abschiebung verbringt, alle 3 Monate zum Amt muss, niemals einen richtigen Pass besitzt, nicht vernünftig Reisen kann, ja sogar Probleme hat, einen Führerschein zu machen - der verliert auch das Vertrauen in das Land. Integration bedeutet auch, den Menschen die Möglichkeit zu geben, sich mit dem Land zu identifizieren.

Grundlegende Reform notwendig

Eine grundlegende und aufrichtige Einwanderungsdebatte ist überfällig, ebenso wie eine darauffolgende Reform des Rechts. Denn derzeit hat das deutsche Einwanderungsrecht als absurder Flickenteppich, geschaffen von um Tatendrang bemühten Politikern, vor allem einen Nutzen:
Es hindert tagtäglich Menschen daran, emotional wirklich in Deutschland anzukommen.

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Wer mehr über das deutsche Einwanderungsrecht erfahren möchte, kann dashier im Verfassungsblog tun.

Der Autor hat den Namen von Nare und einige Details aus seinem Lebenslauf geändert, da dieser negative Auswirkungen fürchtet. Dem Autor liegen Nachweise aus dem Asyl- und Aufenthaltsverfahren vor.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.

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