Ohnmacht und Solidarität

Afghanistan Bei strömenden Regen versammelten sich in Berlin über 500 Menschen zur Bekundung der eigenen Solidarität mit Afghanistan. Der Autor hat mit Ihnen gesprochen.

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Es sind um die 18 Grad, ein spätsommerlicher Regen macht diese Temperaturen um den Platz am Kanzleramt jedoch ungemütlich. Dennoch strömen immer noch weitere Menschen in das Berliner Regierungsviertel, aus den anfangs 200 Menschen werden im Laufe des Nachmittags über 500. Die tiefen Pfützen scheinen hier niemanden zu stören - alle sind wegen der aktuellen Lage in Afghanistan hier.
Aus vielen spricht Trauer, aber aus allen auch Verzweiflung, häufig versetzt mit Wut. Dennoch ist die Demonstration ausgesprochen friedlich, die Menschen scheinen eher erstarrt, in dieser Erstarrung gefasst.

Einer der Redner, deutsch-afghanischer Afghanistan-Veteran, wirft der Bundesregierung offen Versagen vor. Man lasse die Menschen im Stich, die 20 Jahre lang "an ein Wunder" geglaubt hätten, verrate diese afghanischen Generationen durch den "verantwortungslosen Abzug". Deutschland, so weiter, verstecke sich hinter der eigenen Bürokratie. Ein anderer Redner fordert Pakistan etwas später mehrfach dazu auf, sich aus Afghanistan zurückzuziehen ("Afghanistan den Afghanen!").
Die Stimme einer Rednerin bricht während ihrer etwa 5 Minuten dauernden Rede mehrfach - "2015 muss sich wiederholen" - ein Appell an die Mehrheitsgesellschaft zur Aufnahme von Geflüchteten.

Die Menschen sind jeden Alters, viele lassen Plakate für sich sprechen. Einige haben Angehörige in Afghanistan, viele sind von dort aus in die Bundesrepublik emigriert. Aber die Menschen sind vielfältig, bunt, jeder hat einen eigenen Grund, heute hier zu sein. Viele bringen es darauf angesprochen mit dem Wort Solidarität auf den Punkt.
Gefragt nach dem Grund des Erscheinens knüpfen viele direkte politische Forderungen an die Bundesregierung. So das Ehepaar, dass lieber unerkannt bleiben möchte: "Jeder hat ein Recht, in Frieden zu leben. Und da das in Afghanistan nicht möglich ist, dann eben hier."

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Nicht alle werden politisch so bestimmt, einige bringen das Gefühl zur Sprache, dass sie hierherführt - "Ohnmacht!" - so die Wortmeldung jungen einer Frau, Mitte 20. Sie trägt ein Pappschild "Save Passage - Now and always."

Eine bewegende Geschichte erzählt mir auch Ina. Sie sei für ihre Freunde hier. Der Sohn und Vater der Freunde, er hat für die afghanische Regierung gearbeitet. Gestern wurde er abgeholt, von den Taliban. Seitdem gibt es keine Neuigkeiten mehr von ihm. Sie sagt, sie wird ihnen nicht einmal erzählen, dass Sie hier ist, es sei ihr fast unangenehm, aber sie müsse ja etwas tun - irgendwas.

Ganz anders äußert sich Boris. Er hat zwar keinen persönlichen Bezug zum Land, aber ein 3 Meter hohe Standarte dabei - "We can not abandom them" steht auf dieser. Er ist sich sicher, dass die Menschen in Afghanistan "einfach keinen Bock mehr auf Krieg haben" - und deshalb sei er hier.

Viola und Anna hingegen wollen, dass man "unsere Leute da heraus holt" - das schließe alle besonders gefährdeten Menschen mit ein. Mit einem Sekt bewaffnet hat man es sich am Ende der Demonstration gemütlich gemacht, die Stimmung ist hier deutlich heiterer, die Menschen stehen weniger gedrängt.

Zwischen den Reden wird traditionelle afghanische Musik gespielt, es wird von den Rednern fast ausschließlich deutsch, manchmal englisch gesprochen. Es sind viele direkt betroffene Menschen dort, aber noch mehr, die sich solidarisch zeigen möchten. Für eine offene Gesellschaft eintreten und für Solidarität mit den Menschen in Afghanistan. An der deutschen Regierung allerdings lässt niemand ein gutes Haar.

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