Doppelhybriden – das Dilemma der Bruderhähne

Industrialisierte Haltung Bruderhähne sollen leben? Dann zahlt den Preis: Bruderhähne brauchen länger und fressen deutlich mehr, als Masthühner. Doppelhybriden brauchen noch 29 Tage!

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Industrialisierte Hühnerzucht rechnet kg Futter in Fleisch

Das Schreddern der Bruderhähne ist seit Jahren das große emotionale Thema, welches nicht nur Tierschützer beschäftigt. Eigentlich sind die meisten Verbraucher nicht dazu bereit, für Tierwohl tiefer in die Tasche zu greifen. Doch für Eier aus Bodenhaltung oder für Bioeier machen sie das bereits. Das Thema der Hühnerhaltung hat also einen empfindlichen Nerv getroffen. Es hat sich z.B. die Bruderhahn-Initiative gegründet. Die Verbraucher zahlen noch einmal vier Cents mehr pro Ei, damit ihre Bruderhähne nach der Mast noch erschwinglich sind. Wieso ist die Aufzucht der Bruderhähne so teuer? Die industrialisierte Hühnerzucht arbeitet mit Doppelhybriden, die pro kg Futter viel mehr Fleisch erzeugen.

Den Begriff Hybriden hat vermutlich jeder schon einmal gehört und viele verstehen ihn sogar: Zwei Elternrassen werden gekreuzt. Wenn diese gut kombiniert sind, werden die F1-Nachkommen die positiven Eigenschaften beider Elternrassen ausprägen. Diese Kreuzungen gelingen bei vielen Pflanzen und auch Tieren. Es werden von einer Art zwei Züchtungen gewählt, die sich für eine Generation gut ergänzen. Die F1-Generation stellt beide Elternlinien in den Schatten. Die ersten Hybridhühner wurden um 1920 in den USA erzüchtet und kamen um 1950 nach Deutschland. Bereits in den 1960er Jahren waren einstige Wirtschaftsrassen weitgehend verdrängt und sind häufig vom Aussterben bedroht.

Masthybriden brauchen noch rund 35 Tage vom Schlüpfen bis zur Schlachtung. Es kommt auch darauf an, wie schwer sie werden sollen. Doch ein Doppelhybride erreicht das typische Schlachtgewicht bereits in 29 Tagen. Wer seine Bruderhähne über die Weide schickt und mit ein paar Körnern füttert, muss etwas mehr Geduld haben.

Bruderhähne und Doppelhybriden in der Bilanz

Hühner sollen Eier legen und Fleisch ansetzen. Sie können aber nur in einem Punkt richtig gut sein. Deswegen wurden schon vor der Hybridzucht verschiedene Wirtschaftsrassen gezüchtet, die Schwerpunkte setzen oder für Eier und Fleisch gut sind.

Mit der Hybridzucht wird mehr Leistung aus dem Futter geholt, weswegen lege- und fleischbetonte Linien erzüchtet werden. Bei Masthühnern werden auch die Hennen sehr schwer. Bei Legehühnern bleiben die Hähne über. Diese haben einen schlechteren und langsameren Fleischansatz und möglicherweise auch einen schlechteren Fleischgeschmack. Sie brauchen also länger, fressen während dieser Zeit viel mehr Futter und der Stall wird länger blockiert. Es ist ein riesiger Unterschied, ob alle fünf Wochen oder alle fünf Monate neue Hähnchen eingestallt werden.

Bruderhähne sind also das „Abfallprodukt“ der Legelinien. Allein in Deutschland werden rund 45 Millionen Legehennen gehalten, die maximal zwei Jahre alt werden. Pro Legehenne bleibt ein Bruderhahn über. Währenddessen bringen Doppelhybriden noch mehr Leistung, als Hybriden, die bereits jede Wirtschaftsrasse in den Schatten stellen. Vier Elternrassen werden auf die entscheidenden Eigenschaften reinerbig stabilisiert. Aus diesen entstehen die AB und CD Hybriden, die wiederum zu ABCD Hybriden gekreuzt werden. Es handelt sich um die Königsklasse in der industrialisierten Hühnerzucht. Es sind noch rund vier Konzerne, die sich den Weltmarkt aufteilen.

Durch sehr schnelles Wachstum wird weniger Futter und zugleich weniger Stallfläche verbraucht. In Zeiten, in denen Farmland knapp wird und alles billig sein muss, haben Doppelhybriden sich schnell durchgesetzt.

Billig ist nicht artgerecht

Masthybriden müssen also nur wenige Wochen durchhalten. Sie wachsen so schnell, dass sie ihr Leben vermutlich gar nicht so genau mitbekommen. Es müssen immerhin nicht allein Körper, sondern auch der Geist reifen. Wie soll das in so kurzer Zeit gehen?

Das entschuldigt gewiss nicht die Haltungsbedingungen. Die Masthühner leben auf wenig Raum bei Dämmerlicht und erhalten ein speziell abgemischtes Futter. Kein Biobauer kann bei diesen Preisen mithalten. Der Kunde sieht es doch bereits an den Hühnereiern: Bio ist glatt doppelt so teuer, wie die günstigsten Eier aus der Bodenhaltung. Viele wollen oder können sich das nicht leisten. Der Staat macht uns immerhin solange die Taschen leer, bis es nicht mehr reicht.

Das Dilemma der Bruderhähne lautet also, dass Verbraucher sich durchaus eine artgerechte Haltung wünschen, meist aber nicht dafür bezahlen wollen. Während Bioeier sich immerhin einen Marktanteil erobert haben, kämpfen Bruderhähne noch um ihre Aufzucht. Bislang müssen die Schwestern ihre Brüder subventionieren oder diese haben keinen vollen Tag zu leben.

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Wer Bruderhähne will, muss zahlen

Viele von uns kommen kaum über die Runden und stehen diesen und ähnlichen Aussagen gegenüber: „Jeder Euro ist ein Stimmzettel“ oder „Verbraucher entscheiden über das Angebot“. Das ist alles richtig. Doch wie viele Stimmzettel haben wir? Die meisten müssen gut dosiert abstimmen, um über den Monat zu kommen. Wenn Bruderhähne nicht etwas, sondern deutlich mehr kosten, stimmen die meisten Verbraucher dagegen. Wer will schon an anderen Stellen schmerzhaft sparen, damit Bruderhähne wenigstens ein paar Wochen leben dürfen?

Es ist ungerecht, dass der bewusste Mensch die Welt schönkaufen soll, während alle Ignoranten zum Masthuhn aus Hybridzucht greifen. Die Kaufkraft entscheidet sicherlich eine ganze Menge, doch wir werden solange beschnitten, bis uns die Stimmzettel knapp werden. Deswegen muss es wie in der Schweiz politische Lösungen geben. Die schweizer Landwirtschaft sieht ganz anders aus, als die europäische und kann sich nur durch Zölle schützen. Dafür überleben schweizer Kleinbauern und wirtschaften artgerechter. Der Gesetzgeber gibt auch andere Rahmenbedingungen vor. Deswegen klappt alles besser, da alle sich daran halten müssen und jeder die höheren Preise zu zahlen hat.

Bruderhähne auf der grünen Wiese sind durchaus ein idyllisches Bild. Bruderhähne in der Tiefkühltheke sind in der EU bislang leider noch ein Schockbild.

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Geschrieben von

derVerfasser

Wer denkt, der ist. Wer schreibt, der macht. Als derVerfasser lebe ich sadistische Neigungen aus und quäle Leser mit meinen unberechenbaren Gedanken.

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