Für eine Enquete-Kommission zur Bioethik

GESETZGEBER Fachwissenschaftliche Interessen und der Klon werden ohne umfassende Reflexion unserer ethischen Grundprinzipien nicht aufzuhalten sein

Nicht immer sind Begriffe zur Klassifikation von Menschen emanzipatorisch eingesetzt worden. Häufig wurden Unterscheidungen auch zur Herabsetzung und Ausgliederung benutzt. Jetzt stehen Geschlecht, Individuum, Klasse und »Rasse« wieder zur Disposition. Die Reproduktionsmedizin ermöglicht die Geschlechterwahl, die Technik des Klonens wirft die Frage nach dem Individuum auf, und die Einbeziehung der Gentechnik macht die Wahl von kognitiven körperlichen Eigenschaften zu einer beeinflussbaren Maßnahme. Solange die Gruppe der »Konstruktos« nicht durch ganz besondere Eigenschaften auffällt, wird sie in der Menschengattung integriert bleiben. Größere Anforderungen an die Toleranz werden jedoch gestellt werden, wenn die Grenzen der gesamten Gattung zur Disposition stehen.

Man mag es als zu vernachlässigende Quantität ansehen, dass manche Schafe zur Antikörpergewinnung mit einem Prozent menschlichen Erbguts ausgestattet werden. Die Xenotransplantation, die Verpflanzung von Tierorganen auf den Menschen, ist jedoch ein Beispiel für die Hybridisierung von Mensch und Tier, das seinen theoretischen Vorläufer in der Kritik am »Speziesismus« gefunden hatte. Der australische Ethiker Peter Singer hatte die Gattungsgrenzen des Menschen für ethische Fragen als irrelevant angesehen. Werden demnächst also die Menschenrechte auf die Tiere ausgedehnt (Änderung der Tierhaltung) oder wird die Tierethik auf den Menschen übertragen werden (»Gnadentod«)?

Fragen der Herstellung von Mensch-Tier-Hybriden kann man nicht dadurch abwehren, dass man sie in den Bereich der Science fiction zu verweisen versucht. Die Science facts werden heute schneller produziert als der ethische Diskurs.

Angesichts der vorherrschenden Bedeutung globalen Verhaltens kann der Hinweis auf das Embryonenschutzgesetz der Bundesrepublik nicht als Beruhigung gegenüber genetischen Eingriffen gelten. Die internationale Konvention zur Frage der Genetik ist nicht bei der Weltgesundheitsorganisa tion, sondern bei der UNICEF angesiedelt, die sich ansonsten mit der Frage gemeinsamer Nutzungen des Weltkulturerbes und unter anderem der Manganknollen auf dem Meeresboden widmet. Fragen der kulturellen Vielfalt und der gerechten Nutzung sollten von der Ebene des Weltkulturerbes aber nicht einfach auf die des »Welterbgutes« verlagert werden. Das Interesse an der technischen Nutzung seltener menschlicher Gene (zum Beispiel in Guatemala) hat bereits zu einer Schieflage ethischer Diskussionen geführt, die in der Rede von der Autonomie der Gene (statt des Menschen) den Mißbrauch ethischer Überzeugungen ankündigt.

Die Fragen nach der menschlichen Gattung sind die zur Zeit entscheidenden ethischen Fragen für die Menschheit. Die Politik darf sich nicht damit beruhigen, dass der Bürger in der Lage ist, sich an Neuerungen sehr schnell zu gewöhnen. Da die Grundlagen von Politik, Ethik und menschlicher Gemeinschaft selber auf dem Spiel stehen, kann der Hinweis auf therapeutische Möglichkeiten kein genügendes Überzeugungsargument mehr sein, auch wenn die Verführbarkeit in dieser Hinsicht sehr groß ist. Auf die Frage »Halten Sie es für statthaft, dass menschliche Gehirne mit Computern verknüpft werden?« antworten 80 Prozent der Bevölkerung mit Nein. Auf die Frage »Halten Sie es für statthaft, dass menschliche Gehirne und Computer zur Behandlung von Krankheiten des Gehirns miteinander verknüpft werden?« antworten 80 Prozent mit Ja. Die Schiene für die Neueinführung von Technologien, die den Menschen zutiefst betreffen können, ist damit vorgezeichnet.

Außerdem prüfen bisherige Ethikkommissionen vorwiegend, ob die Eingriffe mit Einverständnis des Patienten erfolgen, also an der Autonomie orientiert sind. Der Begriff der Freiheit, der von Jean Paul Sartre aus Gründen der Hervorhebung gegen den Begriff eines Wesens des Menschen gehalten wurde (der Mensch entwirft sein Wesen), sollte jedoch nicht ohne Zwischenschaltung einer Reflexionsstufe als Bauanleitung für Genetiker und Bioingenieure herhalten.

Zur Zeit muss man die Diagnose stellen, dass bei Rückgriff auf das Grundprinzip gegenwärtiger Ethik, nämlich auf die Autonomie, zum Beispiel der Klon nicht aufzuhalten sein wird, da in der Reproduktionsmedizin Autonomie-Aspekte ohnehin leitend geworden sind. Einsame Ad hoc-Gesetze wie das Embryonenschutzgesetz werden dem Druck der fachwissenschaftlichen Interessen nicht lange standhalten. Die Neugestaltung der Grundlagen des Lebens steht an, und die Rückwirkung auf unsere ethischen Grundprinzipien wie Autonomie und Minoritätenschutz müssen dringend reflektiert werden.

Es wäre besser gewesen, die Enquete-Kommission zum Sektenwesen, die dem Minoritätenschutz nicht gerade dienlich war, einzusparen, statt die Enquete-Kommission für Bioethik fallen zu lassen. Bioethiker haben bereits Chips entworfen, auf denen bioethische Fragen mit einem Algorithmus beantwortet werden können. Vorgegeben formalisierte Freiheit bedarf jedoch der Möglichkeit der lebendigen Ausgestaltung durch lebendige Menschen.

Detlef B. Linke ist Professor für Neurowissenschaft an der Universität Bonn und u.a. Autor des Buchs »Das Gehirn«, C.H. Beck Verlag, München 1999, 14,80.

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