Getönt

Linksbündig Anpassung wird nicht unbedingt mit Interesse belohnt

Im letzten Jahr war in Hamburg alles "Astra", in diesem Jahr bestimmte "Jägermeister" das Bild. Nicht vom Alstervergnügen oder vom Hafengeburtstag ist die Rede, sondern vom Christopher-Street-Day. Beobachtet man die Präsenz der Sponsoren und den Mix der Bratwurst-, Bier- und Chinapfannen-Buden, der Teilnehmer und Beobachter, so kann man eines mit Gewißheit sagen: Die Homosexuellen sind angekommen in der Mitte der Gesellschaft. Sie gehören dazu. Jedenfalls für den Augenblick der großen Party.

Aber will die heterosexuelle Mehrheitsgesellschaft wirklich etwas wissen über die Lebensweise der Schwulen, ihre Probleme und ihre Sichtweisen von Gesellschaft? Blicken wir zur Abwechslung einmal nicht in den obligatorischen Darkroom, sondern in das große Reich der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur. Läse in ferner Zukunft der Besucher von einem fremden Planet die Romane, die er in einer beliebigen Museums-Buchhandlung vorfände - er erführe kaum etwas über die Existenz dieser Spezies mit ihrer merkwürdigen Veranlagung. Als Figuren im Werk der "heterosexuellen Literatur" kommen sie nicht vor, ihr gelingt es nicht, "aus dem Dunstkreis ihrer Veranlagungsgemeinschaft zu treten" (Detlev Meyer). Werden Autoren wie Peter Hofmann, Walter Foelske oder Detlev Meyer wirklich als Teil der deutschen Literatur wahrgenommen wie Said oder Zaimoglu - von vereinzelten Taschenbuchausgaben einmal abgesehen? Dafür haben wir nicht die richtigen Kunden, sagt die freundliche Buchhändlerin dem Vertreter der "einschlägigen" Verlage, und wenn sie doch mal etwas einkauft, ist dies keine "Deutsche Literatur", sondern gehört in eine Ecke für "Schwule". Das interessiert unsere Leser nicht, sagt der Literaturredakteur und überlässt das Feld dem "schwulen Ghetto". Wenn dennoch ein schwuler Autor oder eine schwule Geschichte Eingang in den Literaturbetrieb findet, wird dies entweder gut getarnt oder irgendjemand entschuldigt sich dafür.

Wie bei Joachim Helfer: Der Klappentext seines im edlen Hause Suhrkamp erschienenen Romans Cohn und König verspricht einen Helden, der "vom geliebten Jüngling zum erwachsenen Partner und Mann" wird, einen "Bildungsroman der anderen Art", und wenn Verena Auffermann das Buch in der Süddeutschen bespricht, nimmt sie Autor und Buch kräftig in Schutz: "Doch er führt nicht ins Milieu der Bahnhöfe und Stricher, nicht zu Abschweifungen ins Homosexuelle", verkündet sie - als könne man eigentlich nur dies erwarten, wenn ein schwuler Autor zur Feder greift (und der Verlag druckt die Entgleisung als "Werbung" auf die Rückseite der Taschenbuchausgabe). Und wenn Hans Pleschinski jüngst Edward M. Forsters Roman Wiedersehen in Howards End bespricht und auch den Roman Maurice erwähnt, dann bezeichnet er dieses genuin "homosexuelle Buch" verschämt als "homophil getönt".

Es geht nicht um Diskriminierung oder darum, ein neues Opfergewand zu finden. Und schauen wir nur kurz auf die Literatur anderer Länder: Ein Michael Cunningham wird bekannt mit eindeutig schwuler Literatur, und kann, was in Deutschland unwahrscheinlich wäre, höchste literarische Auszeichnungen bekommen. Er wurde bei seinen ersten Büchern auch hierzulande offen homosexuell deklariert. Immer wieder versuchen sich große Verlage an Übersetzungen schwuler Literatur, die im Original die Feuerprobe eines "allgemeinen" Markts bestanden hat, aber es bleiben Versuche. Weil sie sich nicht verkaufen? Vielleicht tarnen die Verlage ja deshalb ihre "schwulen Bücher" noch immer so gut, und vielleicht sind es ja die besten Freundinnen der Schwulen und auch sie selbst, die so geschickt tarnen, umschreiben und beschwichtigen, um der Sache zu dienen.

Beim CSD passen sich schwule Organisatoren den Gesetzen des "Markts" an, sei es als hohen Preis für die Akzeptanz oder weil es auch die ihren geworden sind. Mit Lust zeigen sie sich und mit Lust bestaunen sie die Leute, trinken und feiern mit ihnen - auf der Straße. Aber wenn die Schwulen wirklich ins Haus kommen wollen? Mit ihren eigenen Ausdrucksformen? Ins Reich der Literatur beispielsweise, wo "schwule und lesbische Literatur" ihren LeserInnen durchaus etwas bietet, wo sie neue Blickwinkel und Perspektiven auf das eigene Leben eröffnen oder als Exkursion ins Leben einer "Kontrollgruppe" dienen kann? Wenn sich Schwule wieder etwas freier machten vom Druck der Normalität und wenn sich dann noch jemand ehrlich für sie interessierte - dann, ja dann gehe ich noch mal so gerne auf den CSD und trinke jede Menge Astra und Jägermeister!


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