Nicht-Hetero

Linksbündig Menschen oder Andere?

Liebe "Schwule, Lesben, Bisexuelle, Transsexuelle, Transidente und andere" - so lautete die etwas komplizierte Anrede auf dem Kongress Sexuelle Demokratie, den die Bundeszentrale für politische Bildung in der letzten Woche in Saarbrücken ausgerichtet hat. Oder besser: "Liebe Menschen"?

Es geht um die "Hetero-Normativität" einer westlichen Gesellschaft, die die Menschen in ihr "Mann-Frau-Denken" hineinpresst und die Rechte all jener, die nicht in dieses Schema passen. Es geht aber auch um andere Menschen, die sagen: Ich bin anders. So oder so. Ich fordere Akzeptanz und alle Möglichkeiten, mich entfalten zu können. Ob homosexuelle Männer in den siebziger Jahren den Schimpf- und Schandbegriff "Schwule" kämpferisch für sich umgemünzt haben oder ob in Deutschland lebende Menschen türkischer Abstammung den Begriff "Kanak" auf "Attack" reimen: Emanzipation und der Kampf um einen gleichberechtigten Platz in der Gesellschaft führt über den Kampf um Begriffe und Identitäten. Mann oder Frau? Schwul, lesbisch oder hetero? Deutsch oder türkisch? Raus aus der Norm, aber trotzdem gefangen in ihrem System.

Begriffe und Identitäten legen fest, ziehen Grenzen, grenzen aus. Auch eine Emanzipationsbewegung, die mit ihnen arbeitet, festigt die einander ausschließenden Gegensatzpaare "so" oder "so". Wie beim Kofferpacken: Alles, was nicht reinpasst, wird abgeschnitten. Normen, Regeln und Grenzen werden nicht angetastet, bestenfalls adaptiert. Die Homo-Ehe ist ein Beispiel dafür. Gleiche Rechte, gesellschaftliche Anerkennung - als Paar. Wie Mann und Frau. Erst wenn das Fremde auf den Nenner der herrschenden Norm gebracht wird, wird es kompatibel. Das zeigt beispielsweise auch der Umgang mit "schwuler Literatur". Sie wird nur dann ernst genommen, wenn sie als "anders" nicht mehr auffällt: Wenn der Autor "nie ein Aufhebens" um seine Homosexualität gemacht hat (Susanne Nieder über Christian Schünemanns Roman Der Frisör). Und nur ein "Türke", der gut deutsch spricht, kann sich frei machen vom Verdacht des islamischen Fundamentalismus. Deshalb also: "Liebe Menschen!?"

"Wir arbeiten an der Abschaffung aller Kategorien", hieß es auf dem Kongress als Ausweg aus der Falle, in die das Ringen um eine besondere Identität führt. "Lesben, Schwule, Bisexuelle, Transsexuelle, Transidente und andere - je länger diese Liste wird, desto eher wird sie sinnlos und verschwindet ganz. Dann sind wir alle irgendwie queer. Queer theory und queer politics fragen nach den fließenden Übergängen, nach der Vielheit der Aspekte von Ethnie, Gender, Begehren oder Klasse, die nicht eine neue, eine weitere, bloß etwas differenziertere Identität ergeben, sondern eine Vielzahl von "Möglichkeiten" eines Individuums. Nicht rein ins System der rechtlichen und kulturellen Normen, sondern die Systeme von Einschluss und Ausschluss in Frage stellen! Ist im Augenblick gerade wichtiger für das, was ich denke, fühle oder tue, dass ich Mann oder Frau, deutscher oder türkischer Herkunft, hetero oder anders, beschäftigt oder arbeitslos bin? Der Hetero und die Hetera, der Schwule und die Lesbe existieren in diesem Denken genauso wenig wie Deutsche und Türken, das Abendland und der Orient. Es gibt nur noch Menschen in besonderen Situationen, im Verhältnis zu anderen Menschen.

Um Normen und Machtverhältnisse, Möglichkeiten und Grenzen zu analysieren, mag dieser Ansatz taugen. Gibt es aber eine greifbare Perspektive von queer politics, neue Koalitionen gegen die "Hetero-Normativität"? Was wollt ihr denn jetzt noch?, lautet stattdessen die erstaunte Frage, wenn Menschen über die Homo-Ehe hinaus denken. Ihr? Ihr Schwulen und Lesben? Dabei geht es doch darum, ob die Ehe als Maß aller Beziehungsmuster und mit allen Privilegien durch die Homo-Ehe gestärkt wird, oder ob sich Schwule, Lesben, aber eben auch Heteros und andere gemeinsam neue, andere, genauso anerkannte Möglichkeiten eröffnen, ihr Leben zu gestalten? Darüber müsste man reden, doch stattdessen igeln sich die Identitäten ein, und es überrascht die Leidenschaft, mit der ihre VertreterInnen auf Abgrenzungen beharren.

Aber müssen wir nicht froh sein, dass das Thema - in welchem Stimmengewirr und Kauderwelsch (noch?) immer aneinander vorbei geredet wird - überhaupt eine Institution wie die Bundeszentrale für politische Bildung erreicht hat? Und irgendwann gestatten es uns unsere Identitäten dann vielleicht, es doch nicht mehr so genau mit ihnen zu nehmen.


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