Auf dem Bohrturm

EHRUNG Zum 65. Geburtstag von Adolf Dresen

Neulich, bei einer Akademietagung in Wittenberg. Friedrich Schorlemmer kündigt den letzten Referenten des Abends an: Lothar Fritze vom Dresdner Hannah-Arendt-Institut. Der liefert eine ebenso weitschweifige wie untertunnelte Abhandlung über den Widerstand in der DDR. Einem Zuhörer platzt der Kragen. Adolf Dresen fährt den Referenten erregt an: " Ihr Beitrag wirft uns ja um Jahrhunderte zurück!" So ist er, unser Jubilar, der dieser Tage 65 Jahre alt wird, impulsiv, kreativ, unorthodox. Diese sympathischen Charaktereigenschaften haben Adolf Dresen schon zu DDR-Zeiten das Leben schwer und leicht zugleich gemacht. In Roßleben (Sachsen-Anhalt) ging er auf eine ehemalige Klosterschule, in Leipzig studierte er Germanistik an der Karl-Marx-Universität, nach vier Semestern wurde er für ein Jahr relegiert und bewährte sich in der Produktion im VEB BBG, einer Landmaschinenfabrik. Dresen las Marxens Kapital, was auf der Uni niemand von ihm verlangt hatte. Hans Mayer fragte ihn im Examen, was er von Kleists Prinzen von Homburg halte. Die Antwort des Kandidaten: "Nichts." Es folgte eine Stunde Disput, und Dresen hatte die Prüfung bestanden, unter anderem auch deshalb, weil er ganze Passagen des Stückes, das er nicht mochte, herunterbeten konnte. Über Crimmitschau kam Dresen ans Greifswalder Theater, wo seine legendäre Hamlet-Inszenierung, übersetzt von ihm und Maik Hamburger und besetzt u.a. mit Jürgen Holtz in der Hauptrolle, für einen ersten Zusammenstoß mit der Staatsmacht sorgte, die die Zerstörung des sozialistischen Menschenbildes befürchtete. Adolf Dresen ging zur mecklenburgischen Erdölbohrung und balancierte auf einem 70 Meter hohen Bohrturm, wo er sich vielleicht die nötige Schwindelfreiheit attestierte, die man auch am Theater braucht. Wolfgang Heinz holte ihn ans Deutsche Theater in Berlin, wo wir ihm die wunderbaren O'Casey-Inszenierungen verdankten und den Faust eins von 1968. Seine witzige, ironische Sicht auf diesen Findling deutscher Dramatik musste scheitern, wollte doch Ulbricht in der DDR den Faust drei geschrieben sehen. In einem Gespräch hat mir Adolf Dresen begründet, warum sich das Regieteam mit den über hundert Änderungswünschen der Kulturfunktionäre arrangierte. "Wenn wir nicht eingewilligt hätten, wären wir Märtyrer gewesen, aber wir wollten unserem Land die internationale Blamage ersparen." Diese dialektische Form von Widerstand ist angesichts heutiger Schwarz-Weiß-Malereien der Vergangenheit nicht gefragt, so dass ein zivilcouragierter Mensch wie Adolf Dresen auch heute viele dumme Fragen beantworten muss. Falls er dazu Lust hat. Jeder besitzt ein Bild dessen, an den er sich gern erinnert. Bei mir ist es der Auftritt Dresens beim DT-Volksliederabend "Astel-Paul und die anderen". Er betrat mit einer riesigen Quetschkommode die Bühne, die Augen blitzten bis in den zweiten Rang, und er zog das Ding bis zum Anschlag auseinander. Ein Symbol außerordentlicher Energie plus Lust und Spaß. Kurz danach ging er in den Westen, wo er in Wien und Frankfurt/ Main erfolgreich arbeitete. Heute macht er sich Gedanken über das Verhältnis von Geschichte, Gegenwart und Zukunft im geteiltvereinten Deutschland. Er will, dass Sprache Wurzeln schlägt und Wirklichkeit wird. "Wir haben versucht, auf der Bühne damit anzufangen. Wir müssten überall damit anfangen, auf den Bühnen, auf den Kathedern, auf den Schulen", sagt der Jubilar, dem wir herzlich zu seinem Geburtstag gratulieren.

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