Bruder Notker und der Schweiß der Anständigen

Stille Post Benediktinische Glückshormone

"Pladdern müsste´s", schrieen meine Mutter und ihre Cousine Hanna aus dem sicheren Bremer Beletagefenster, wenn nach dem Ersten Weltkrieg demonstrierende Sozialisten, arme Leute, durch die Straßen zogen. Die ihnen daraufhin von unten drohenden Fäuste ließen sie angenehm erschauern. Meine Mutter erzählte uns Kindern die Geschichte ohne Emotionen, so dass es schwer auszumachen war, ob ihr dieser juvenile Hochmut später peinlich war. Sie hatte 1945 eigentlich genug verloren, um sich von nun an besser in die Lage Gedemütigter versetzen zu können.

Nun gut, sie war ein Kind, als sie ihre unschönen Wünsche ausstieß. Schwieriger scheint die Sache zu werden, wenn heutzutage der oberste Abt der Benediktinermönche, Bruder Notker Wolf, aus dem Kloster Sant´Anselmo in Rom derlei verächtliche Sprüche klopft. In einem Interview mit einer Hamburger Illustrierten hat er kürzlich mitgeteilt, dass er deutschen Langzeitarbeitslosen gern weniger Geld zukommen lassen würde als die monatlichen 345 Euro von Hartz IV. Er möchte nämlich jeden Menschen, der in diesem Land ohne Arbeit ist, fragen, ob er wirklich bereit sei, jeglichen Job anzunehmen, der nicht mehr Geld einbringt als das Hartz-IV-Almosen. Für ihn fällt der demütigende Gang zur Arbeitsagentur unter den Begriff Phlegma. Dagegen setzt er den Spruch: "Es ist doch etwas Schönes, den ganzen Tag geschwitzt zu haben und am Ende ein Ergebnis vorweisen zu können. Das setzt Glückshormone frei." Der Abt scheint ein reichlich antiquiertes Bild von Erwerbstätigkeit, so es sie denn gibt, zu haben. Angstschweiß in der modernisierten Arbeitswelt kommt bei ihm nicht vor. Er lässt es deshalb lieber beim verbalen Pladdern. Der Gottesmann tröstet beispielsweise Familien, in denen Vater und Mutter keinen Lohn mehr nach Hause bringen können, mit dem Hinweis, das nun "endlich mehr Zeit" zur Verfügung stehe. "Es gibt kein Grundrecht auf Wohlstand, so wie wir ihn seit Jahrzehnten gewohnt sind".

So weit, so irritierend. Natürlich darf in seinen Mitteilungen auch der Taxifahrer aus Dresden nicht fehlen, der es wagt, daran zu erinnern, dass für seinen Vater sozialistische Vollbeschäftigung irgendwie stressfreier war. Horribile dictu! Erheblich verständnisvoller geht der katholische Geistliche mit so genannten Reichen um. Sie sind ihm beispielsweise den Satz wert, dass ein humanes Management erfolgreicher sei als ein gewinnorientiertes. Darüber werden Unternehmer herzlich lachen. Beispielsweise die von der Allianz. Natürlich sind für Bruder Notker die Achtundsechziger an allem schuld. Die hätten die Vernunft der Französischen Revolution verstoßen, "die Natur an ihrer Stelle auf die Altäre gesetzt und die Freiheit individualisiert". Eine etwas seltsame Schlussfolgerung. Himmel, hilf, möchte man deshalb rufen.

Zum Glück geht es auch anders. So hat der Präsident des Diakonischen Werkes der Evangelischen Kirche, Jürgen Gohde, dieser Tage sein Amt niedergelegt. Er hatte sich in einer gemeinsamen Erklärung mit kommunalen Spitzenverbänden für Kürzungen der Bezüge von Langzeitarbeitslosen ausgesprochen. Der diakonische Rat der EKD erklärte anschließend, er sehe keine Grundlage mehr für eine Zusammenarbeit. Offenbar gibt es in der Kirche noch Menschen, die der Jesusbotschaft verpflichtet sind, an der Seite der Schwachen zu stehen. Wer wissen will, wo die Schwachen sind, kann in Berlin-Pankow zum Franziskanerkloster in der Wollankstraße gehen, wo täglich Hunderte Bedürftige ein kostenloses Mittagessen und bei Bedarf Kleidung erhalten. Getreu dem Bibelwort: "Und wenn ich sie hungrig heimgehen ließe, würden sie auf dem Weg verschmachten, denn einige sind von ferne gekommen." - Es gehört sich nicht, über Leute herzuziehen, denen es schlecht geht. Vielleicht ein schwacher Trost: Aber eher geht ein Kamel durch ein Nadelöhr, als dass ein Reicher in den Himmel kommt. Wenn diese Botschaft aus der Bergpredigt stimmt, haben die Hartz-IV-Empfänger das Paradies schon gewonnen. Ob sie das auf Erden tröstet?


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