Der Bart ist ab

Stille Post Wenn Sie sich waschen und rasieren, finden Sie auch einen Job"

Wenn Sie sich waschen und rasieren, finden Sie auch einen Job", blaffte der SPD-Vorsitzende Kurt Beck auf dem Wiesbadener Sternschnuppenmarkt jenen leicht alkoholisierten Erwerbslosen an, der die Arbeitsmarktpolitik der großen Koalition mit dem Wort "Scheiße" charakterisiert hatte. Derart väterlich gescholten, nahm der Hartz-IV-Empfänger Henrico F. stante pede seinen Vollbart ab, zog sich das Piercing aus der Nase, ließ sich das Haupthaar scheren und bekam anschließend einen Termin in der Mainzer Staatskanzlei, wo ihm Kurt Beck fünf verschiedene Stellenangebote machen wollte. Offerten von drei Baufirmen, einem Malerbetrieb und einem Reinigungsunternehmen (sic!). Welch ein hoffnungsvolles Weihnachtsmärchen. Der verdi-Gewerkschafter Hans Gerd Öfinger will deshalb dem Sozi Beck ein paar Langzeitarbeitslose schicken, die sich auch ohne Politikerschelte täglich duschen und rasieren. Aber ohne "Bart ab" hat die Sache natürlich keine Pointe. Und überhaupt, was machen eigentlich arbeitslose Frauen?

Mit seinem populistischen Ausfall hat der stets sorgfältig ausrasierte Bartträger Kurt Beck jedoch auch einen Beitrag zum Zusammenwachsen dessen geleistet, was angeblich zusammengehört. Also nicht Mensch und Arbeit, sondern mit Bart in Ost und West. Denn ich erinnerte mich sofort, wie mich mein damaliger Kollege Siegfried K. vor über 30 Jahren anraunzte: "Wennde nisch son schregglischen Bord häddest, sähsde glatt zähn Johre jinger aus." "Ich nehme ihn zum Fünfzigsten ab und sehe dann auf einen Schlag zehn Jahre jünger aus, Siggi." Das tröstete ihn nicht.

Kollegen, die ihn länger kannten, ärgerten sich, dass er 1951 in der Aufbaulotterie eine Wohnung an der Berliner Stalinallee gewonnen hatte und von Dresden an die Spree zog, natürlich frisch rasiert. Eine Wohnung war damals so rar wie heute ein Arbeitsplatz. Sonst ist er mir nur in Erinnerung, weil Walter Ulbricht einmal in der Redaktion anrief, was Siggi zu der fläzigen Frage "Welscher Ulbrischt?" inspirierte. Er telefonierte anschließend im Stehen weiter, ständig wiederholend: "Jawohl, Genosse Staatsratsvorsitzender". Eine Geschichte mit Bart, okay. Aber wir sollen uns doch gegenseitig unsere Geschichten erzählen, damit es zwischen uns einmal besser wird.

Inzwischen stehen die einst umwucherten Kinne der Ostdeutschen - man denke nur an die Fußmatten der Bürgerrechtler - durchsichtig im Dreitagebart. Trotzdem immer noch etwas undurchsichtig, und Arbeit hat es ihnen auch nicht gebracht. Sie bleiben die Versager an sich. Worauf zu Recht das eindrischt, was sich früher Kabarett nannte. So wie neulich, im ARD-Scheibenwischer. Der dicke Richard Rogler hatte irgendwo gelesen, dass die Ossis irgendwie nicht ganz mit der Demokratie glücklich sind. Seine Botschaft: Hey, Ihr da drüben, unsere Bundeswehr ist gerade aus dem Kongo zurück, die schicken wir Euch gleich mal auf den Hals. Dankbares und befreites Lachen aus dem Saal. War ja auch echt spaßig, dieser Herrenmensch. Besser hätte das ein Instrukteur der SED-Kreisleitung auch nicht hingekriegt, nur anderslang. Zumal der rasierte Rogler auch äußerlich den Genossen in nichts nachstand. Vielleicht könnte er Kurt Beck künftig bei Bartkontrollen begleiten. Meinem Siggi K. würde das auch gefallen, falls er noch lebt.

Schön, dass WASG und Linkspartei beschlossen haben, Westdeutsche überproportional in Leitungsfunktionen der künftig fusionierten Truppe zu stecken, um ein gewisses Ungleichgewicht zwischen Ost und West auszubalancieren. Ein guter Brauch aus Wendezeiten, der sich schon in Medien, Justiz, Wissenschaft und Bundeswehr bewährt hat. "Ex oriente nix", so kürzlich die Süddeutsche Zeitung. Rasiert sind die Ostdeutschen ja auch genug. Obwohl sie sich wie Weihnachtsmänner vorkommen. Die dürfen einen Bart tragen, der selbst Kurt Beck gefällt. Besser wird es sowieso erst, wenn Kaiser Barbarossa der Bart im Kyffhäuser durch den Tisch gewachsen ist. Also noch ein wenig Geduld und Frohes Fest allerseits.

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