Ende einer Radfahrt

Berliner Abende Aus dem märkischen Kanal reckt sich mir hilfesuchend eine Hand entgegen. "Können Sie mir bitte mal raushelfen, junger Mann?" Ich ziehe eine Dame im ...

Aus dem märkischen Kanal reckt sich mir hilfesuchend eine Hand entgegen. "Können Sie mir bitte mal raushelfen, junger Mann?" Ich ziehe eine Dame im geblümten Badeanzug, am Ende des mittleren Alters, ans etwas steile Ufer. "Früher hast du das noch gemacht", schimpft die gefärbte Blondine ihrem Gatten hinterher. Der läuft schweigend in Richtung Familiensauna. Ich steige aufs Rad und fahre weiter auf dem Radweg Berlin-Kopenhagen. Kurz darauf wird eine kleine Fähre erreicht, die die Radler und Fußwanderer ans andere Ufer bringt. Daneben die Reste einer Brücke, die seit dem Krieg zerstört ist. Kurz davor liegt eine Eisenbahnbrücke über dem Friedrichsthaler Wasserweg. Sie ist heil, obwohl sie eigentlich überhaupt nicht mehr gebraucht, das heißt, benutzt wird. Seit Jahren fahren hier keine Züge mehr. Über ihre filigrane Gitterkonstruktion fliegt ein Fischreiher.

Idylle. 25 Kilometer nördlich von Berlin. Wer mit der S-Bahn in Oranienburg ankommt, wird Schwierigkeiten haben, den schönen Radweg zu finden, der weit abseits aller benzinverstunkenen Fernstraßen durch Wald und Wiesen mäandert. Wahrscheinlich hat niemand damit gerechnet, dass irgendwann irgendjemand hier aussteigt, um nach Kopenhagen zu radeln. Ist ja auch wahr. Aber bis Zehdenick oder Fürstenberg darf´s vielleicht schon gehen.

Wir fahren einfach nach rechts, unter der Nordbahn hindurch, landen falsch in einem Gewerbegebiet und schließlich an einer Abzweigung, wo verstohlen das Signet besagten Radweges blinkt. Es ist in jeder Hinsicht pastell: Kleine Form, kleine Schrift, kleines Signet. "Das kann nur eine Frau entworfen haben", sagt die Gattin in wütender Selbstkritik des eigenen Geschlechts. Möglich. Dass es entgegen der Fahrtrichtung angebracht wurde und nur unter Halsverrenkung wahrgenommen werden kann, dürfte Männerwerk und Autofahrerrache sein.

Von nun an fährt es sich jedoch wunderbar. Der Weg ist asphaltiert und geht durch schattigen Mischwald. Als wir schon annehmen, er höre bis Moskau nicht mehr auf, obwohl wir Richtung Kopenhagen treten, lichtet sich das Gelände in schönes Weideland. Die Wiesen tragen weiße Boviste und Champignons, umsäumt von Holunderbüschen und Hagebuttensträuchern. Bald darauf ist Liebenwalde erreicht, eines jener märkischen Städtchen, die ausgestorben wie Filmkulissen zu High Noon daliegen. Alles menschenleer um die sonntägliche Mittagsstunde. Vor dem sorgsam renovierten Rathaus von 1879 steht eine schwarzlackierte, gusseiserne Säule, die die Toten aus dem Krieg von 1870/71 ehrt. Vielleicht spaziert gleich Fontane um die Ecke. Aber es rauschen nur mehrere Kerle nebst Bräuten auf Harley Davidsons heran, mit Stahlhelmen auf den langhaarigen Schädeln. Sie fallen ein am Imbissstand "Zum guten Happen", wo es ihnen schon entgegenschallt:" Kaffee wie immer?" "Jawollja". Wir sitzen auf einer Holzbank am Havelufer, die Blutwurst mit Sauerkraut kostet drei Euro. Der Radweg verläuft weiter am Fluss. Alle paar Kilometer sitzen dicke ältere Herrn in Trainingsanzügen mit Angelruten in der Hand. Sie lehnen in Sesseln, als säßen sie vor dem Fernseher. Sie scheinen weder vom Fernsehen noch vom Wasser irgendetwas zu erwarten. Ab und zu überholen uns grüßend Radkameraden. Sie fahren zügig und wollen vielleicht heute noch bis an die Ostsee. Oder bloß ihre Kräfte ausprobieren. Die Gattin nimmt nackend ein Bad im Fluss. "Det ist doch ville zu kalt", so die Einlassung einer Einheimischen.

In Zehdenick lassen wir es gut sein. Auf dem Bahnhof will der Automat keinen 50-Euro-Schein annehmen. Der Schranken- und Signalbediener wird geholt und weiß keinen Rat. "Wenn der Fuffßiger annehm wirde, hättick schon morjens keen Kleenjeld mehr in mein Automaten". Wahrscheinlich in Zeiten des Volkseigentums sozialisiert, der Mann. "Lösen wir eben beim Schaffner". "Jib´s nich mehr, uff diese Strecke." Im Triebwagen nach Oranienburg empfiehlt uns ein Jurist, der aus dem Wochenende zum Dienst rollt, schwarz zu fahren. Was wir erfolgreich tun, bis uns in der S-Bahn doch noch eine Kontrolle erwischt. Angeblich darf auf mein S-Bahn-Jahresticket am Wochenende zwar eine zweite Person mitgenommen werden, aber kein zweites Rad. Außerdem werden wir belehrt, dass seit Jahresbeginn der Mitgenommene eine Anschlusskarte zu kaufen hat. Der darob sehr mitgenommenen Gattin sagt der Kontrolleur gütig: "Ich könnte Ihnen dafür 80 Euro abverlangen, bin aber kulant und verlange nur 40." Zähneknirschendes Zahlen. Vielleicht wäre in diesem Fall eine Tour bis ans Endziel Kopenhagen klüger gewesen.

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