Hier ist noch immer Niemandsland. Obwohl jeder Quadratmeter verplant und verkauft ist. Wenn man sich vom Tiergarten aus der Stadt jenseits der Eberstraße nähert, liegt sie da wie eine Skyline am anderen Ufer. Die Grenze hat sich tief in die Stadtschaft gefressen, um einen Begriff des Dichters Arnold Zweig jenseits der Romantik zu gebrauchen. Fast 30 Jahre lang war diese Gegend um das Brandenburger Tor vernagelt. Die zerstörten klassizistischen Palais wie Hitlers klotzige Reichskanzlei waren abgetragen von einer großen Fläche, über die als einzige Transitreisende in diesem Sperrbezirk riesige Krähenschwärme zu ihren Schlafbäumen im Tiergarten zogen.
In dieser Einöde lag das halbe, übriggebliebene Haus der Akademie der Künste der DDR. 1987 saß ich dort eines Herbstabends im Archiv und suchte nach Zeichnungen des verkannten Dichters Uwe Greßmann. Mein Blick schweifte melancholisch den Krähen nach in die andere Welt. Freilich wäre er beschwingter gewesen, wenn es damals Gelegenheit gegeben hätte, den Keller der Akademie zu betreten. Dort ruht seit 1957 ein Schatz. Kunststudenten, die später recht berühmt wurden, hatten damals zum Fasching die Gewölbe orgiastisch ausgemalt. Harald Metzkes entwarf ein Gastmahl des Wilderers. Finstere Kerle im schwarzen Anzug sitzen um einen langen Tisch wie die Jünger des Jesus von Nazareth. Auf der Tafel rosarote Schweine, garniert von Gewehren. In einen Kellerpfosten hat der nachmalige Bildhauer Werner Stötzer eine nackte Frau geritzt. Manfred Böttcher entwarf Harlekine, aber auch Wilderer im Wald, der aus blauen und roten Bäumen besteht, Horst Zickelbein ein farblich delikates Dickicht, das den Metamorphosen des Ovid nachempfunden ist. Die Krönung bildet ein Werk Ernst Schroeders, der das Interieur des Wilderers gemalt hat, einen weißen Köter wie eine Mischung aus Kampf- und Schoßhund, einen Tisch, ein Geweih, eine Flinte. Während oben gerade die Kunst der Bauernmaler um Ilja Repin zur Nachahmung gepriesen und Abweichlern kein Pardon gewährt wurde, entfaltete sich im grenznahen Untergrund die Moderne. Alles schön an Picasso und Matisse orientiert und so frisch hingeworfen, wie es nur geht, wenn kein Auftrag, keine Botschaft und kein Ehrgeiz die Malhand verkrampft. Schön muss es am Fasching 1957 gewesen sein, es wurde wohl getanzt, gesoffen, geliebt und gekotzt.
Über 40 Jahre ruhten die Schätze in den Katakomben, weitgehend unbemerkt und unkommentiert, lediglich ein bisschen verschmutzt nach so langer Zeit. An einer Ecke rennen viele mit der Schablone gemalte Ratten ins Leere. Eine Metapher für die Werke? Zum Glück nicht. Denn die Kellerkunst lebt und wird überleben. Falls alles klappt. Zu verdanken ist das der Berliner Denkmalpflegerin Gabi Dolff-Bonekämper, die die Bilder vor der Beseitigung schützte. Denn der Keller, auf dem die ruinöse Akademie steht, soll geteilt werden. Der hintere Teil mit Metzkes und Schroeder ist der Fundusgruppe zugeschlagen worden, die hier einen Anbau für das Hotel Adlon errichtet und deshalb eine Baugrube braucht und keinen Restkeller. Der vordere Teil des Faschingsdenkmals geht ungefähr auf Höhe der Ratten an die Akademie. Gabi Dolff-Bonekämper gelang es, die Baufirma davon zu überzeugen, dass so was nicht verschwinden darf. Weshalb Fundus beschloss, Geld für die Erhaltung der Bilder zu spenden.
In der Kellern stehen Filmscheinwerfer, die die Szenerie gut ausleuchten. Restauratoren der Firma Breitenfeldt, fachkundige junge Mädchen, haben die Gemälde sorgfältig gewaschen, anschließend fixiert und übertragen sie jetzt sorgsam auf Leinwände. So können die geretteten Bilder an anderer Stelle wieder auferstehen. Das Gastmahl des Wilderers soll einen Neubau der Fundusgruppe schmücken und hoffentlich keine falschen Assoziationen wecken, Schroeders Tisch und Hund bleiben dank einer großzügigen Gabe der Ernst-Schroeder-Gesellschaft ebenfalls erhalten. Das Wandbild des unglücklichen Malers, der vor einigen Jahren weitgehend vergessen in Hamburg starb, wird im Akademieneubau am Pariser Platz seinen Platz finden. Den Rest im Keller besorgt die Akademie selbst. Natürlich sind die Faschingsszenen ihres authentischen Ortes beraubt, aber ihre Kraft wird hoffentlich auch die neuen Plätze inspirieren.
Ein magischer Ort. Im Erdgeschoß des Hauses stand einst das Modell der neuen Hauptstadt Germania, an dem sich manchen Abends der Führer und sein Baumeister Speer ergötzten, schräg rüber wohnte Max Liebermann, der angesichts der Verhältnisse gar nicht so viel fressen konnte, wie er kotzen mochte. Und im Keller sitzen die Wilderer und erteilen uns eine Lektion in deutscher Geschichte und Kunstgeschichte, für die sich die Wildschweine im benachbarten Tiergarten aus verschiedenen Gründen nicht interessieren.
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