Gespenst

Mehr Monarchie wagen! Linksbündig

Der Abschlussbericht samt Materialienband der sogenannten Schlosskommission hat das kahle Areal in der Mitte der deutschen Hauptstadt erst einmal gefüllt: Mit Papier und Empfehlungen. Womit einem Beben und Streben nachgegeben wurde, die durch den Schlossabriss durch Ulbricht vor rund 50 Jahren geschaffene Leerstelle mit Geschichte und Erinnerung neu zu konstituieren. Nur welche? Preußensound? Novemberrevolution? Baukunst?

Die Forderung nach Neuaufbau des Schlosses, das über Jahrhunderte zu seiner endgültigen Form gewachsen war, die es als ein Museum der Baustile von Renaissance über Barock bis zur Gründerzeit auswies, erweckt den Eindruck, als sei dieser architektonische Wiedergutmachungsakt gewissermaßen der Schlussstein über einer intakten Innenstadt. Leider vergessen die Nostalgiker, dass ihr Projekt in eine Stadtwunde von gigantischen Ausmaßen transplantiert würde. Das Schloss, in welchen baulichen Kompromissvarianten auch immer, wäre lediglich ein Blickfang für den Lindenflaneur, sonst nichts. Denn alle mittelalterlichen Stadtviertel, die es umgaben, sind für immer dahin. Die Gründe sind vielfältig, Kriegszerstörungen, aber auch Abrisswut, die in der Stadt seit Jahrhunderten herrscht. Die Bürgerhäuser der Schlossfreiheit verschwanden vor rund 100 Jahren, als sie einem geschmacklosen Denkmal für Kaiser Wilhelm I. weichen mussten. Die Nazis ließen die Gassen des Krögel verschwinden, als sie Platz brauchten für den Bau der Reichsbank, des späteren ZK-Gebäudes und heutigen Auswärtigen Amtes. Zu DDR-Zeiten wurde nicht nur der nahegelegene mittelalterliche Fischerkiez für fünf Wohnhochhäuser geopfert, auch die noch erhaltenen Bauten an der Breiten Straße, an Sperlings- und Neumanngasse mussten weichen, um Platz für jenes Staatsratsgebäude zu schaffen, in dem kurioserweise jene Kommission tagte, die über das Schlossschicksal sinnierte. Das Ermelerhaus, das an der Breiten Straße störte, wurde übrigens nach seinem Abriss minuziös etwas entfernt am Spree-Ufer wiedererrichtet. Was keinen zu stören scheint. Ermelerhaus und Schloss sind deshalb ähnliche Fälle, beide dienen nicht der Vergegenwärtigung von Vergangenheit, sondern deren Simulation. Während das Ermelerhaus seinen Ort, aber vielleicht nicht sein Wesen verlor, soll der Schlossbau zwar an gleicher Stelle bleiben, aber er verliert sein Wesen und wird zum Schlossgespenst. Worüber die historisierenden Vorhangfassaden nicht hinwegtäuschen können, die die Kommission mit knapper Mehrheit von acht zu sieben Stimmen für das Gebäude nach Süden, Westen und Norden zugestanden hat.

Über die Funktion des Hauses gibt es recht originelle Vorstellungen, die Stiftung Preußischer Kulturbesitz will ethnografische Sammlungen und ihre Museen außereuropäischer Kunst ins Stadtzentrum bringen, die Lehr- und Kunstsammlungen der Humboldt-Universität sollen dorthin sowie die beiden zusammengefügten Teile der Zentral- und Landesbibliothek Berlin. Eine Agora wissenschaftlicher und kultureller Kommunikation soll entstehen. Ein Marktplatz der Meinungen statt preußischer Monarchie, warum nicht. Die Melange wird Probleme machen. Adel verpflichtet. Aber wozu? Berlin ist sowas von pleite, dass die Entschuldung der Stadt ähnlich lange dauern könnte wie der Bau des Schlosses, nämlich Jahrhunderte. Die Kommission hat einen Finanzbedarf von 670 Millionen Euro für den Wiederaufbau des "Kastens" errechnet, der dem abgerissenen Schloss in irgendeiner Weise ähnlich sein soll. Bürgermeister Klaus Wowereit hat bereits abgewinkt und den vorgeschlagenen Nutzern des Baus empfohlen, die Frage zu beantworten, "ob sie die Finanzierung anteilig übernehmen".

Über 100 Millionen Mark wurden derweil in die Asbestsanierung des Palastes der Republik versenkt, der demnächst abgerissen werden soll. Eine kulturelle Zwischennutzung ist nicht vorgesehen. Die Insel zwischen den Spree-Armen ist ein ideologieträchtiger Ort, der Opfer verlangt: 1951 das Schloss, 2002 bis 2003 der Palast. Manchmal bedarf es allerdings gar keines Gebäudes, um Erinnerungen herzustellen. Deshalb den Schlossfreunden, die mehr Monarchie wagen wollen, folgender Hinweis: Nach seiner Machtübernahme verjagte der Soldatenkönig Friedrich Wilhelm I. den Baumeister Andreas Schlüter, kürzte alle Gehälter, die in Preußen mit Kunst und Wissenschaft zu tun hatten, außer jenem für den französischen Hofmaler Pesne, und ersetzte den Akademiepräsidenten Leibniz für den Hofnarren Gundling. Ganz so weit ist Berlin noch nicht, egal ob mit oder ohne Schlossfake.

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