Helmut Kohl, Manfred Kanther und wohl auch Wolfgang Schäuble sind im Verlaufe des CDU-Spendenskandals das geworden, was man seit der Wende vor zehn Jahren eine Altlast nennt. Der damals in Mode gekommene Begriff beschreibt jene Sorte von Mensch, die in der DDR nach der Devise gelebt hatte: Die Partei, die Partei, die hat immer recht. Die zukunftsverheißende Melodie, die gegen alle Zweifel Richtung und Sinn versprach, verfing sich in den Demonstrationen vom Herbst 1989 und in den Besetzungen der Stasizentralen, in den Rücktritten des Politbüros, aber auch in den Recherechen der plötzlich munter gewordenen DDR-Journalisten über Wandlitz und andere Privilegien der Nomenklatura. So haben die also gelebt, war die empörte Quintessenz des sogenannten kleinen Mannes. Die Führungsriege des ersten deutschen Arbeiter-und-Bauern-Staates befand sich im freien Fall. Erneuerer der SED versuchten, mit Demonstrationen vor dem Gebäude des Zentralkomitees zu retten, was noch zu retten schien, und schwangen symbolische große Kehrbesen. Aber das Ende der alles bestimmenden Staatspartei war nicht mehr aufzuhalten, und das Vertrauen war endgültig verspielt.
Ob Wolfgang Schäuble an das unrühmliche Ende der SED gedacht hat, als ihm beim CDU-Wahlkampfauftakt Schleswig-Holsteins in Kiel Buhrufe entgegenschallten? Als er sich als Motor der Aufklärung jenes Spendensumpfes seiner Partei bezeichnete, der die CDU auf Jahre oder sogar endgültig ruinieren wird? Erinnert sich vielleicht Helmut Kohl mit seinem beredten Schweigen an die dialektischen Pragmatiker des kleineren deutschen Staates, denen jeglicher Zweck die Mittel heiligte? Solcherlei Vergleiche wird er ebenso brüsk wie empört von sich weisen. Kohl denkt wie die einstigen Funktionäre aus dem Osten systemimmanent und nicht sys temübergreifend. Bei ihm stand deshalb Machterhalt um jeden Preis im Mittelpunkt. Auch die angesichts dieser existenziellen Krise der CDU ratlose und enttäuschte Mitgliederschaft weckt Assoziationen an das Ende der DDR. Ein interessantes Parallelogramm.
Besser verstehen viele Ostdeutsche die gegenwärtige Situation. Ihnen ist zehn Jahre lang ausdauernd von den jetzigen Defraudanten Demokratie gepredigt worden mit dem Hinweis, sie seien nunmehr in der besten aller Verfassungsformen angekommen. Weiteres Nachdenken über plebiszitäre Formen politischen Lebens wie beispielsweise Runde Tische sei weder erwünscht noch angebracht. Weshalb die Warnung des Ministerpräsidenten von Sachsen-Anhalt, Reinhard Höppner (SPD), zutrifft, die Ostdeutschen könnten angesichts des gigantischen Betruges der Christdemokraten jedes Interesse an den bisher nur eingeübten Formen der parlamentarischen Demokratie verlieren und sich extremistischen Parteien zuwenden. Gleichzeitig könnte sich die Beurteilung derjenigen Verhältnisse, denen sie 1989 den verdienten Laufpass gaben, weiter relativieren. Angesichts der Summen christdemokratischer Geldwäscherei nehmen sich die Luxushäuschen der Wandlitzer Diktatoren tatsächlich wie das Ambiente von Sparkassendirektoren aus. Aber solche Vergleiche sind riskant. Denn Wandlitz war dem Gewohnten in der DDR buchstäblich haushoch überlegen. Genauso verhält es sich mit dem Vermögen der Herrschenden in der Bundesprepublik zu dem der Normalbürger. Oder wie lässt es sich erklären, dass eine blasse Staatssekretärin wie Agnes Hürland-Büning (CDU) für ihre Lobbyarbeit beim Deal Leuna-Elf Aquitaine vom Thyssenkonzern 8,5 Millionen Mark Beraterhonorar einstrich.
In der DDR begann der Anfang vom Ende mit den Parteiausschlüssen der vormals Herrschenden von Honecker bis Mielke. Jetzt wird nach dem schrittweisen Rücktritt von Ex-Innenminister Manfred Kanther auch der Ruf nach einem Abgang von Kohl und Schäuble immer lauter. Angesichts dieser Schussfahrt werden Zeitungskommentare mit der Überschrift "Rettet die CDU" verständlich. Gefahr scheint im Verzug, wenn es sogar in konservativen Blättern wie der FAZ heißt: "Die politische Klasse, das sind Vertreter, die ihre Partei meinen, wenn sie vom Volk reden; das sind politische Gärtner, die sich bei der Landschaftspflege von allerlei Erntehelfern mit Geld und Gerät zur Hand gehen lassen; das sind Abgeordnete, die für Aufträge und Weisungen, weil sie vom Grundgesetz verboten sind, nicht zu haben sind, für bare Zahlung, weil sie nicht verboten ist, aber doch."
Es wäre interessant zu erfahren, was diejenigen Bürgerrechtler, die vor drei Jahren in die CDU eingetreten sind, zum jetzigen Finanzskandal ihrer Partei sagen. Ist Erhart Neubert noch bekennender Kohlianer? Falls ja, wäre es zwar ein Zeichen von Charakter, aber gleichzeitig auch von politischer Dummheit. "Ich bin das Volk", ruft der Kanzler der deutschen Einheit in der festen Zuversicht, dass die Bevölkerung seines Landes gleichfalls nach dem Spruch handelt:"Haste was, biste was." Mag sein, dass eine solche Weisheit eine Zeit lang in der Habengesellschaft trägt. Momentan scheint es eher nach der Parole zu laufen: "Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben."
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