Lawinen

Linksbündig Würden Sie Klaus Staeck eine Akademie der Künste anvertrauen?

"Auf Matrosen, ohe", drehte der Leierkastenspieler vor dem Brandenburger Tor seinen Gassenhauer, als oben im benachbarten Neubau der Akademie der Künste Berlin-Brandenburg deren neu gewählter Präsident Klaus Staeck die Metapher vom schlingernden Schiff bemühte. Die passende Melodie zum etwas plakativen Bild? Der Künstler, der in den fünfziger Jahren seinen persönlichen Bitterfelder Weg aus der mitteldeutschen Chemiestadt ins kurpfälzische Heidelberg nahm, scheint bestens geeignet zu sein, die etwas vom Kurs gekommene Institution zurück in günstigere Gewässer zu bringen. Wobei die Frage auftaucht, nach welchem Kompass die künftige Reise der 300 Jahre alten Akademie gehen wird. Staeck sowie Nele Hertling, die langjährige Intendantin des Berliner Hebbeltheaters und neugewählte Vizepräsidentin, machten allerdings darauf aufmerksam, dass ein gemeinsames Arbeitsprogramm mit den Mitgliedern erarbeitet werden müsse. Ein Signal für einen neuen Arbeitsstil des Hauses?

In einer Pressekonferenz nach seiner Wahl hatte sich Klaus Staeck, der mit seinen Werken stets für Aufregung im zuweilen stillen Gewässer Bundesrepublik gesorgt hatte, als einen vehementen Kämpfer für den öffentlichen Raum bezeichnet. Solchen Anstoß kann die Akademie gebrauchen. Sie schien in jüngster Zeit nach der schwierigen Vereinigungsquerelen ihrer Mitglieder aus Ost und West ein wenig ermattet zu sein. Der neue Präsident, seit 40 Jahren streitbar in der SPD engagiert, versprach vorsorglich, sein Amt überparteilich zu führen. "Ich bin nicht als Politkommissar angetreten, der sich in Politik auskennt." Ältere Zeitgenossen dürften sich erinnern, wie der nachmalige Bundestagspräsident Philipp Jenninger (CDU) gemeinsam mit einigen Abgeordneten seiner Partei 1976 im Bonner Parlament eigenhändig Staecks Plakate von den Wänden riss. Tempi passati? Aber, meinte der Frischgewählte versöhnlich: "In Kunst und Kultur gab es immer große Koalitionen." Die wird es brauchen, wenn es darum geht, die Existenz von Künstlern und ihre Arbeitsmöglichkeiten in Zeiten knapper Kassen zu retten.

Es ist offenkundig, dass die meisten der "arbeitenden Mitgliedschaft", als die der neugewählte Direktor der Abteilung Literatur, Volker Braun, die Akademie bezeichnete, schon ein wenig in die Jahre gekommen sind. Was wohl auch damit zusammenhängt, dass jemand erst durch entsprechende Leistungen ausgewiesen sein muss, ehe er gewählt wird. Lautsprecher und Dünnbrettbohrer haben ihre Chancen auf anderen Marktplätzen der Kultur. Natürlich liegt in der Alterspyramide des ehrwürdigen Kulturtempels auch ein Akzeptanzproblem. Weshalb Nele Hertling darauf hinwies, wie nötig es sei, außer für eine positive Arbeitsatmosphäre ("wir fangen nicht bei Null an") auch für den richtigen Umgang mit der nächsten und übernächsten Generation zu sorgen. Der Leipziger Komponist Udo Zimmermann, wie schon bisher Direktor der Sektion Musik, setzte sich gleichfalls für eine Verjüngung der Mitgliedschaft ein. Worauf Staeck maliziös erklärte, man sei zwar erkenntnishungrig, aber keine Jugendherberge.

Es wird sich bald zeigen, ob der von seinem Vorgänger, dem Schriftsteller Adolf Muschg, durch dessen Rücktritt erzeugte Knall den nötigen Nachhall finden wird. Der in den vergangenen fünf Monaten amtierende Akademiechef Matthias Flügge hat dafür gesorgt, dass das schlingernde Schiff nach Muschgs Kanonade keine Schlagseite bekam. Staeck reagierte auf die zurückliegende Zeit mit dem Satz, der Krach um den alten Präsidenten sei Schnee von gestern, "jetzt interessieren wir uns für die Lawinen von morgen". Die könnten jederzeit losgetreten werden, leicht, aber hoffentlich nicht leichtfertig. Die Akademie ist schließlich genötigt, aus der Hand des Bundes zu fressen. Die neugewählte Leitung ist allerdings nicht des Opportunismus verdächtig, am wenigsten ihr Präsident. Er ist der erste bildende Künstler in diesem Amt seit Max Liebermann, der 1933 zum Rücktritt gezwungen wurde. Als große Zukunftsaufgaben nannte er Wissenschaft und Umwelt. Manche seiner Plakate haben diesen Themen auf schlagend pointierte Weise gedient.

Viele Zeitungen haben der neuen Mannschaft inzwischen auf ihre Weise gratuliert. Der Tagesspiegel beispielsweise schenkte Nele Hertling die etwas ranzige Stanze, mit ihrer Wahl kehre "ein gutes, altes Stück Westberlin" zurück. Die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung fragte in Anspielung auf ein Staeck-Plakat von 1971: "Würden Sie diesem Mann ein Amt anbieten?" Die Antwort kann nur lauten: Selbstverständlich!


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