Ost-West-Trödel

Berliner Abende Kolumne

Papa, was ist ein Trödelmarkt, fragt Karl. Trödele nicht, kalauere ich zurück und weiß die genaue Antwort erst mal nicht. Am Nachmittag fahren wir mit der S-Bahn nach Tiergarten und ziehen quer durch die Budenwelt an der Straße des 17. Juni, einst Speers Ost-West-Achse, davor und dazwischen Charlottenburger Chaussee. Ost-West-Achse ist es geblieben, zumindest was Käufer, Verkäufer und Warenangebot betrifft.

Westler suchen hier gezielt wie lustvoll den Devotionalienschrott der verblichenen DDR. Hoch im Kurs stehen fabrikneue rote Armbinden (werden die vielleicht noch hergestellt?) mit der Aufschrift "Freiwilliger Helfer der Volkspolizei". Auch Parteiabzeichen, im Volksmund einst Märchenooge, Klub der abgehackten Hände oder schlicht Bonbon genannt, erfreuen sich einer gewissen Nachfrage. Wo trägt man so was heute? Am kleinen Schwarzen, unterm Smokingrevers? Oder gesinnungsethisch am Mantelkragen? Als ich einen Typ mit 1000-Mark-Lederjacke, fellgefüttert und Markenjeans neugierig beim Kauf beäuge, kriegt er einen starren Blick.

Also weiter zum Buchstand, da liegen für Ostkinder zum Greifen nah Asterix und Obelix, Lucky Luke und andere Heftchen, im Preis moderat. Nachfrage unbekannt. Trödelmärkte sind Erinnerungsfabriken. Und sie sind nicht nur an Straßenrändern aufgereiht. Erinnerung versüßt oder verbittert. Wir können die Ergebnisse in der Zeitung lesen. Bevor ich mit meinen Söhnen die Buden des Westens durchkämmte, ging ich einst mit ihnen voll Lust und mangels Alternativen auf schöne Ostberliner Straßenfeten. Beispielsweise zu dem jährlich Mitte Oktober veranstalteten Hasenfahnenfest meines Freundes Manfred Butzmann in der Pankower Parkstraße. Nach Sackhüpfen, Kaspertheater, Bäumepflanzen und anderen netten Überraschungen zogen wir dann, Leierkastenspieler Latschenpaule vorneweg, mit Lampions zum Schlosspark. Hinter dessen Mauern lag, meist unbewohnt, das Schloss Niederschönhausen, Herberge für Regierungs- und Parteigäste der DDR.

Und was berichtet mir neulich eine Berliner Tageszeitung? Die Posten hätten ihre Waffen durchgeladen, wenn der Kinderkreuzzug erschien. Da hat man also Widerstand geleistet, hat Gewehrkugeln auf sich gezogen, was nicht mal im Herbst ´89 passierte, und von allem nichts bemerkt! Was für vertane Chancen! "Sind Sie in der DDR verfolgt worden?" "Man hat versucht, auf mich zu schießen." "Gibt es dafür Beweise?" "Es stand sogar in der Zeitung." Zu schön, um wahr zu sein. Denn was war noch zu lesen? Wir hätten gelacht, als wir das Klacken der Waffen hörten, weil wir gewusst hätten, die schießen nicht. Waren wir nun Helden oder Idioten? Oder beides? Ein Thema für die Enquetekommission. "Weggelachte Gefahren - Widerstand oder Anpassung."

Vielleicht sollte man einfach nicht mit durchgeladenem Kugelschreiber über das untergegangene Land schreiben. Die DDR ist zwar weg, aber wir sind noch da. Allem Papier zum Trotz. Und wenn wir die Zeitung lesen, lachen wir nicht, denn wir wissen, die schießen. Und wenn wir Glück haben, geht es ins Leere.

Am Ende des Marktes, kurz vor dem archaisierenden Tor, das Albert Speer dort vor 50 Jahren errichten ließ, verkauft ein russischer, oder tschetschenischer, oder was weiß ich Händler Matrjoschkas mit Gorbatschows Gesicht. Über dessen Züge ist nicht nur sein Feuermal, sondern auch die Zeit hinweggegangen. Er geht wohl nicht mehr so gut. Da ersteht der Mensch vom Rhein lieber eine himmelblaue Soldatentschapka und verwandelt sich für einen Moment in einen Bewohner der Kalmückensteppe. Russland ist groß, und die Mütze ist weit. Am Abend lese ich in meinem Brockhaus von 1908, dass der Trödler zuvörderst nach dem preußischen Handelsgesetz ein Minderkaufmann war und später zu den Vollkaufleuten gerechnet werden durfte. Zeit wird zur Ware, und ihrer Verramschung sind keine Grenzen gesetzt.

aus: "Freitag" 14/1994


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