Zum Amtsantritt hat Oskar Lafontaine seinem Männerfreund Gerhard Schröder ein mit roten Bändern verschnürtes Kästchen Havannas vermacht. Ein symbolreiches Geschenk und aus reinem Herzen. Oder nicht? An seinen Cohibas hat der Kanzler inzwischen mit linkem wie rechtem Lungenflügel mächtig zu ziehen. Die Asche der schweren und teuren Zigarren, deren Einlage und Decken gleichermaßen aus edlen kubanischen Tabaken gefertigt sind, ist ihm inzwischen gewaltig auf die Füße gefallen. Ob Schröder bei jedem Zug an den verflossenen Mitkämpfer denkt, der ihm jetzt mit dem Vorabdruck seiner Sottisen Das Herz schlägt links in der rechten Welt die nächste Zigarre verpasst, aber eher minderer Sorte? Während er noch vor Monaten tönte, dass zwischen sie kein Deckblatt passe.
Falls Lafontaine jener Ökonom mit historischem Bewusstsein ist, als der er sich gerne selber sieht, weiß er vielleicht, dass vor genau einhundert Jahren in Deutschland 639 Tonnen Zigarren ein-, aber nur 500 Tonnen ausgeführt wurden. Also Defizite einst wie jetzt, Kaufkraftsorgen, Export-Import-Probleme. Alles blauer Dunst, wie gehabt. Aber bei derlei Reminiszenzen hält sich der Ex-SPD-Vorsitzende nicht auf. Was er jetzt unter die Leute bringt, ist starker Tobak à la Rothändle, ohne Filter.
Endlich erfahren wir, was wir schon immer wussten. Politiker sind eigentlich auch Menschen. Sie intrigieren, kombinieren, assistieren, was das Zeug hält. Büromobbing der ganz trivialen Art. "Gerhard Schröder kam später und machte ein Gesicht, als wollte er die ganze Welt vergiften. Er setzte sich grußlos hin." Das ist Ereignisprosa der besonderen Art. Wir sehen, dass Schröder nicht immer nur den "Wetten, dass ich ein fröhlicher Mensch bin"-Typ spielen kann. Leider handelt es sich um eine Beziehungs- und keine Zigarrenkiste. Und das flüchtige Glück stiften müssen die beiden blonden Ehefrauen. Wobei doch nach landläufiger Meinung immer dann die Gattinnen die Finger im Spiel haben, wenn dicke Freundschaften zwischen Männern in die Brüche gehen. Aber Doris Schröder-Köpf telefoniert am Abend lange mit Christa Müller. Es ist zwar schon spät, dennoch ist Doris überrascht, dass Gerhard bereits missgelaunt zu Bette ging, und zwar allein. Die beiden Frauen schaffen das Wunder, das Oskar bei Tage nicht gelang. Gerhard nimmt den Hörer und entschuldigt sich murmelnd beim Parteikollegen für die giftige Laune. Was wird er gesagt haben? "Kommt nicht wieder vor, du altes Arschloch" oder "Schwamm drüber, Blödmann"? Wir lesen es nicht, und es bleibt vorerst eines der ungelüfteten Geheimnisse in diesem schwelenden Streit. Ungelüftet wie ein verqualmtes Schlafzimmer. Vielleicht müssen Historiker jetzt erstmal Schröders Version dokumentieren.
Sind wir im falschen Film? Während in Deutschland die Arbeitslosigkeit auf Rekordhöhe bleibt, werden wir Zeugen einer doku-soap aus dem Regierungslager. Wir lesen, dass Schröder Thierse nicht als Bundestagspräsident wollte - wahrscheinlich hat der Kanzler beim täglichen taz-Studium zu viel Texte des fanatischen Ossifressers Droste gelesen-, während Lafontaine bei Rudolf Dreßler durch die Zuteilung eines Ministerpostens die Depressionen lindern wollte. Dass dafür nur das Gesundheitsressort in Frage kam, hat eine gewisse Logik. Schröder denkt da genauso pragmatisch: Als Eichel und Klimmt nach ihren verlorenen Landtagswahlen depressiv wurden mit der Gefahr von aggressiven Schüben, nahte schnelle Therapie mit repektablen Ämtern. Was wird Walter Momper kriegen? Die Hausmeisterstelle in der Berlin-Vertretung? Wir wissen es nicht und wollen es auch nicht wissen.
Welcher Teufel hat Oskar Lafontaine geritten, dieses Buch zu schreiben? Hat ihn keiner seiner wirklichen Freunde davor gewarnt? Er muss uns doch nicht miteilen, dass ein anderer seiner Männerfreunde, der Außenminister Josef Fischer, über ihn verbreitet habe, er besitze den bösen Blick. Den schätzten wir doch gerade an Oskar Lafontaine und hätten ihn gern weiter gesehen als stets präsente Drohung in Schröders etwas zu feistem Nacken. Stattdessen füllt sich das Auge des Saarländers mit Tränen des Selbstmitleids, und er sieht die Vergangenheit nur noch verschwommen.
Anstelle der Cohibas, von denen der großzügig spendierende Ex-Finanzminister vielleicht hoffte, sie mögen in der Mitte explodieren wie in einem Charlie-Chaplin-Film, hätten ihm ostdeutsche Parteifreunde vorsichtshalber ein heimatverbundenes Zigarilloprodukt empfehlen sollen. Es stammt aus Mühlhausen, jenem einstigen Hauptquartier des Bauernkrieges, aus dem Thomas Münzer 1525 zur letzten Schlacht aufbrach. Der Name dieser Marke, die die Wende erstaunlicherweise überlebte, lautet "Sprachlos".
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