Schwebendes Verfahren

Stille Post Kolumne

"Und hier kommt in einigen Jahren der Transrapid aus Richtung Berlin an", prophezeite uns ein aufgeräumter Bahnchef Heinz Dürr Mitte der neunziger Jahre während eines Freitag-Interviews im ICE-Abteil kurz vor Hamburg-Hauptbahnhof. Der Visionär beschrieb mit der Hand eine Linienführung, die es nicht gab und auch nie geben sollte. Skeptische Einwürfe wies er entschieden ab. Inzwischen rast der Intercity-Express stündlich zwischen Berlin und Hamburg mit Tempo 230 hin und her. Vom Transrapid-Verkehr zwischen deutschen Metropolen spricht kein Mensch mehr. Weshalb das schlimme Unglück auf der Transrapid-Strecke im Emsland wie eine Nachricht von einem anderen Stern erschien. Die umstrittene Technik spielte in der öffentlichen Debatte kaum noch eine Rolle. Von den geplanten Projekten in NRW und Bayern blieb die Planung für eine Strecke zwischen Münchner Innenstadt und Flughafen. Es mutet wie ein Stück aus dem Tollhaus an, wenn auf der Hightech-Versuchsstrecke ein Zug auf der stets leeren Piste in einen Arbeitswagen hineinrast.

Verkehrsminister Wolfgang Tiefensee (SPD) verhandelte zum gleichen Zeitpunkt in Peking mit seinem chinesischen Amtskollegen ausgerechnet über eine Verlängerung der bisher einzigen kommerziell betriebenen Transrapid-Strecke der Welt in Shanghai. Derlei Pläne dürften nun fürs erste vom Tisch sein. Zumal Experten vermuten, dass die Chinesen nur deshalb Interesse am von ThyssenKrupp gebauten superschnellen Verkehrsmittel haben, um es zu kopieren und anschließend in Eigenregie zu bauen. Bayerns Wirtschaftsminister Erwin Huber (CSU) reagierte ebenfalls distanziert auf den Unfall in Lathen und empfahl gründliche Prüfung. Das besonders von seinem Dienstherrn Stoiber geförderte Projekt der Magnetbahn zum Münchner Flughafen soll rund 1,85 Milliarden Euro kosten.

Bahnchef Mehdorn hatte nach seinem Amtsantritt zügig alle Magnetbahn-Projekte entsorgt, vorrangig die Planung für Berlin-Hamburg als Konkurrenz zur Bahnstrecke. Inzwischen sind mehrere ICE-Strecken für Geschwindigkeiten von bis zu 300 Kilometern pro Stunde ausgebaut worden, zuletzt die von München nach Nürnberg. Auf ihr werden sich ab Dezember 2006 die Fahrzeiten zwischen Berlin und München auf rund fünfeinhalb Stunden verkürzen. Eine echte Konkurrenz zur Autobahn. Mehdorn dürfte es sich freilich verkneifen, bei einem eventuellen Interview im ICE hinter Bamberg Richtung Norden mit der Hand nach links weisend zu sagen: "Schauen Sie, hier wird einmal die Schnellstrecke nach Berlin abzweigen, im Tunnel unter dem Thüringer Wald hindurch - München-Berlin in gut drei Stunden!"

Es stehen zwar schon Betonbrücken in der unterfränkischen Landschaft herum, angesichts der geplanten Fertigstellung im Jahr 2020 wirken sie eher wie Investruinen - die Metaphern einer unentschlossenen Planung zwischen Ballast-Abwerfen für den Börsengang der Bahn und vernünftigen Strukturentscheidungen. Auf der Strecke bleibt die Kundschaft. Bei dieser Perspektiven-Konfusion verliert die Bahn die Übersicht. Was sich unter anderem in der Fahrplantreue auswirkt. Erstmals seit längerer Zeit ist die Pünktlichkeit im Reise- und Güterverkehr wieder weit unter die 90-Prozent-Marke gerutscht. Ratlosigkeit allenthalben.

Magnetbahnproduzent ThyssenKrupp hat dringend ein Referenzprojekt für Deutschland gefordert. Sonst könne man die Auftragsbücher für diesen Raum dicht machen. Seine Patente will der Konzern laut Spiegel eventuell an China verkaufen. Den einen oder anderen Lokalpolitiker in der brandenburgischen Prignitz wird diese Aussage aufhorchen lassen. Vor Jahren war der Transrapid als Jobmaschine sehnsüchtig begrüßt worden, weil seine Wartung in Perleberg erfolgen sollte. Stattdessen Radio Prignitz beziehungsweise Jerewan: Es gibt zwar keine neuen Arbeitsplätze, dafür werden bald Eisenbahner entlassen, weil Anfang Dezember drei Regionallinien in diesem armen Landstrich wegrationalisiert werden. Die Bundesregierung hat die Zuschüsse gestrichen. Auch die für die Bahn zwischen Werneuchen bei Berlin und Tiefensee. Nomen est omen.


Nur für kurze Zeit!

12 Monate lesen, nur 9 bezahlen

Freitag-Abo mit dem neuen Roman von Jakob Augstein Jetzt Ihr handsigniertes Exemplar sichern

Print

Erhalten Sie die Printausgabe zum rabattierten Preis inkl. dem Roman „Die Farbe des Feuers“.

Zur Print-Aktion

Digital

Lesen Sie den digitalen Freitag zum Vorteilspreis und entdecken Sie „Die Farbe des Feuers“.

Zur Digital-Aktion

Dieser Artikel ist für Sie kostenlos. Unabhängiger und kritischer Journalismus braucht aber Unterstützung. Wir freuen uns daher, wenn Sie den Freitag abonnieren und dabei mithelfen, eine vielfältige Medienlandschaft zu erhalten. Dafür bedanken wir uns schon jetzt bei Ihnen!

Jetzt kostenlos testen

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden