Das eigentliche Schlussplädoyer im Prozess gegen die drei ehemaligen SED-Politbüromitglieder Hans-Joachim Böhme, Herbert Häber und Siegfried Lorenz hielt die Mutter des letzten Maueropfers Chris Gueffroy, der im Februar 1989 bei einem Fluchtversuch in Berlin-Treptow erschossen wurde. Sie könne mit dem Freispruch der drei Angeklagten leben, meinte sie in der Frankfurter Rundschau. Und vermutlich sind nur Menschen wie sie befugt, solche öffentlichen Urteile über die ideologischen Gefangenen des Kalten Krieges abzugeben, dem so viele Menschen zum Opfer fielen. Ganz abgesehen davon, dass die Angeklagten zu Zeiten ihrer politischen Macht sehr unterschiedlich agiert und reagiert haben. Herbert Häber, der Westexperte seiner Partei für einen Sommer, wurde 1984 sehr schnell von Honecker aus dem Verkehr gezogen und in die Psychiatrie überwiesen, als die Sowjets seine engen und spezifischen Kontakte zu bundesdeutschen Politikern und Geschäftsleuten kritisierten und ihm deutsch-deutsche Entente vorwarfen. Lorenz gehörte im Herbst 89 zusammen mit Krenz und Schabowski zu denjenigen im Politbüro, die sich mit Gorbatschows Segen endlich dazu durchrangen, Honecker von der Macht zu entfernen. Ein Beitrag zur Schleifung der Mauer, dieses Schandmals des Kalten Krieges.
Die versöhnliche Botschaft von Gueffroy steht im Gegensatz zur Aussage Bärbel Bohleys, die von einer "Schweinerei" und einem empörenden Fehlurteil des Vorsitzenden Richters Hans Luther sprach. Es scheint der vergebliche Versuch einer Dämonisierung des Banalen zu sein. Natürlich ist Luthers Begründung für den Freispruch ebenso originell wie vage, wenn er über die Angeklagten sagt:"Sie waren schlicht untätig, nicht mehr und nicht weniger." Sein Verweis auf den "sicherlich viel schlaueren Bundesgerichtshof" in Leipzig, wohin die Sache gegen die Drei jetzt geht, war dagegen ebenso unsouverän wie unnötig. Hardlinern aus der Kompanie der DDR-Nostalgiker wird es nämlich jetzt erheblich schwerer fallen, von einem weiteren Triumph sogenannter westdeutscher Siegerjustiz zu sprechen. Und diejenigen aus dem Osten, die beklagen, Gerechtigkeit gewollt und den Rechtsstaat bekommen zu haben, sollten in Ruhe über die Notwendigkeit einer absolut unabhängigen dritten Gewalt in der deutschen Demokratie nachdenken. Sie ist ein hohes Rechtsgut, das über moralische Schuld leider nicht zu befinden hat und nicht befinden kann. Das mag man bedauern. Aber moralisches Versagen gehört nicht vor den Kadi, sondern auf die Bühne politischer Auseinandersetzung, vielleicht auch vors Jüngste Gericht. Sofern es das gibt.
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