Staroske

BERLINER ABENDE »Denn es geht dem Menschen wie dem Vieh; wie dies stirbt, so stirbt er auch«, Franz Biberkopfs traurige Gedanken beim Betrachten eines Berliner ...

»Denn es geht dem Menschen wie dem Vieh; wie dies stirbt, so stirbt er auch«, Franz Biberkopfs traurige Gedanken beim Betrachten eines Berliner Schlachthofs wollen wir lieber nicht zitieren, wenn wir in der prachtvollen Fleischerei Staroske zu Mittag essen. Biberkopf aus Döblins Berlin Alexanderplatz teilt uns mit, wie ein Fleischerladen sein muss, nämlich gut beleuchtet, damit die natürliche Fleischfarbe nicht leidet. Während uns solcherlei Gedanken beim Verzehr eines Rahmschnitzels mit Butterspätzle durch den Kopf gehen, fällt der Blick auf das schöne Foto, wo der Schäfer Schwagrzinna ein niedliches Lämmchen im Arm hält, dessen Steaks wir vielleicht einmal bei Staroske essen werden. An Biberkopf sollten wir dabei wirklich nicht denken, wenn er schreibt: »Die Beine winken leise, das Leben röchelt sich nun aus, der Atem läßt nach. Schwer dreht sich der Hinterleib, kippt.«

Hinter dem Tresen von Jörg Staroskes Fleischerladen, Potsdamer Straße 116, stehen die Mamsells, freundlich, schnell beziehungsweise proper, wie man das in Berlin nennt. Vor dem Ladentisch wartet um die Mittagszeit geduldig eine Schlange, die zügig bedient wird. Vor allem die Angestellten aus den nahen Büros versorgen sich hier aufs Angenehmste.

Lange bevor die Suppenshops um den Ku'damm »in« waren, gab es bei Staroske schon die herrlichsten Eintöpfe: Kartoffelsuppe mit Bockwurst, Linsen, Erbsen, Tomatensuppe mit Fleischklößchen und so weiter. Das ist der ideale Imbiss. Man nimmt ihn an wackligen Stehtischen zu sich, wo einen das Schicksal möglicherweise an einen Mitmenschen verschlägt, der gerade an Rippchen mit Sauerkraut nagt. Da lohnt es sich, auf den eigenen Teller zu blicken und nicht auf die Mundwinkel des Gegenübers, oder auf seinen Mantel, der gerade eine frische Fettspur aufnimmt. Während man isst, sind die hellen Stimmen der Verkäuferinnen zu hören, die Susi oder Lotti heißen und wohl schon eine Weile bei Staroske arbeiten. Ihr Slang, »darf et n'bissken Hacke mehr sein?« verrät, dass man auch in Westberlin zuweilen noch den heimischen Dialekt spricht. Zu Staroske kommt mittags die Stammkundschaft, die geduzt wird. »Na, meine Kleene, wie wärt heute mit Blutwurscht?«

Die Fleischerei an der Potsdamer hat schon einige Jahrzehnte überlebt. Man darf sie wahrscheinlich eine Goldgrube nennen, wie sie sich da tapfer zwischen Fastfood, Bäckereiketten und Eisdielen behauptet. Sie ist ein verlässliches Stück Zeit, und ich bin als Kind vermutlich mit einer der Straßenbahnlinien an ihr vorbeigefahren, die damals 73 und 74 hießen. Sie kamen aus Richtung Weißensee über den Potsdamer Platz, geradeaus an den Grenzkinos vorbei nach Lichterfelde Ost. Tiefbauer buddeln vor der Daimler-City die rostigen Gleise aus, die den Mauerbau überdauert hatten. 1953 war mit den durchgehenden Linien Schluss, weil in Westberlin keine Straßenbahnfahrerinnen aus dem Osten die Waggons lenken durften. Staroske gab es damals sicher auch schon. Aber ich habe die Verkäuferinnen nicht danach gefragt. Später baute Hans Scharoun das Kulturforum quer über die Magistrale, deren Rest nun alte Potsdamer Straße hieß. Ein Dokument der Gewissheit, dass Berlin niemals wieder zusammen gehören würde. Heute macht die neue Potsdamer Straße einen riesigen Bogen um den Bau der Preußischen Staatsbibliothek. Aber der Verkehrssenator überlegt, ob man nicht die Elektrische wieder über Potsdamer und Hauptstraße bis zum Innsbrucker Platz fahren lassen sollte. Die Idee ist gewöhnungsbedürftig, gilt doch die Tram, wie sie Neudeutsch heißt, im Westen der Stadt irgendwie als eine Ausgeburt des Kommunismus.

Bei Staroske, diesem Flaggschiff nie enttäuschender Express-Versorgung und dem Pendant zu Currywurst-Konopke an der Schönhauser, nur alles abwechslungsreicher, kann man sich selbst eine Mittagsmahlzeit zusammenstellen, beispielsweise Schnitzel, Grünkohl und Bratkartoffeln. Oder Bouletten mit Blumenkohl. Oder man bestellt das tägliche Stammessen, diese Woche unter anderem frische Bratwurst mit Rosenkohl und Salzkartoffeln.

Wenn Westberliner Ostberliner besonders in die Pfanne hauen wollen, zählen sie jene Imbissstände auf, wo die Besitzer ihre Vornamen mit Apostroph auf die Schilder schreiben. Oder sie reden über Soljanka, diesen geheimnisvollen Suppenkompost aus Russenland. Soljanka gibt es übrigens auch bei Staroske, und Andy's Imbiss oder Moni's Wurstshop finden wir in Wedding und Neukölln ebenso wie in Friedrichshain und Treptow. Tröstlich?

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