Trotz als Standortfaktor?

Stille Post Als vor zwei Jahren das Dresdner Elbtal durch die UNESCO zum Weltkulturerbe erhoben wurde, war die Freude groß. Es schien, als sei die im Krieg so ...

Als vor zwei Jahren das Dresdner Elbtal durch die UNESCO zum Weltkulturerbe erhoben wurde, war die Freude groß. Es schien, als sei die im Krieg so schwer zerstörte Stadt wieder ganz bei sich angekommen, als habe sie ihren Rang als Elbflorenz endgültig zurück gewonnen. Die Aufnahme in den kostbaren Status fand vor der Kulisse der nahezu fertig gestellten Frauenkirche statt und wurde von den Einwohnern fast wie eine Selbstverständlichkeit angenommen. Die Sünden der DDR-Abrissorgien und der Entwurf einer sozialistischen Stadt unter dem blasphemischen Motto "Schöner denn je" waren vergessen und vergeben.

Offenbar ist die Gesinnung des "Schöner denn je", die einer gewissen Maßstabslosigkeit entspringt, im glanzvollen Dresden noch immer weit verbreitet. Wie anders sind die trotzigen Reaktionen auf den Beschluss eben jener UNESCO zu verstehen, die gerade damit gedroht hat, die Stadt wieder von der Liste des Weltkulturerbes zu streichen, sollten die Stadtväter weiterhin den Bau der so genannten Waldschlösschenbrücke betreiben. Was so idyllisch klingt, ist eine Orgie in Beton, die nach ihrer Fertigstellung den einmalig schönen Canaletto-Blick auf die Elbwiesen auf immer zerstören wird. Das massive Bauwerk soll Verkehrsprobleme lösen, wird aber nach aller gemachten Erfahrung neue Staus verursachen.

Was die Dresdner nicht hinderte, im Februar 2005 bei einem Bürgerentscheid mit 68 Prozent für den Bau der Brücke zu stimmen. Entsprechend groß ist jetzt das Getöse in der Stadt. CDU-Politiker wie der Bundestagsabgeordnete Arnold Vaatz beziehen sich auf dieses Votum als basisdemokratischen Akt und fordern den sofortigen Beginn der Bauarbeiten. Nach der Devise "Wir sind das Volk", die hier ihre multivalente Nutzung beweisen kann. Wenn es nur so einfach wäre. Schon Theodor Fontane, der als Apotheker in Leipzig und Dresden beschäftigt war, unterschied zwischen dem "sentimentalen sächsischen Typus" und einem "energischen, leidenschaftlichen, zornig erbitterten" und zog das Fazit: "Wer die Sachsen kennt, weiß, dass man sich gegen diese beiden gegensätzlichen Typen beständig hin und her bewegt."

So gesehen, war es höchste Zeit, dass auf der UNESCO-Tagung in Vilnius ein Denkzeichen gesetzt wurde. Die verfeindeten Lager links und rechts der Elbe, die den Fontaneschen Typologien folgen, haben jetzt ein Jahr Zeit, ihre Argumente zu überprüfen. Es wird wichtig sein, diese Debatte aus der Enge des "Tales der Ahnungslosen", wie Dresden zu DDR-Zeiten wegen der fehlenden Empfangsmöglichkeiten für ARD und ZDF genannt wurde, herauszuholen. Abgesehen davon, dass Westfernsehen nicht ahnungsvoller macht - auch die Dresdner werden es inzwischen bemerkt haben -, ist der Zeitgewinn durchaus ein Jahr des Nachdenkens wert. Das Moratorium verhindert hoffentlich den Startschuss für den irreparablen Brückenbau, den übereifrige Lokalpolitiker noch im Juli vollziehen wollten, unmittelbar vor dem 800jährigen Stadtjubiläum.

Inzwischen hat eine gewisse Ernüchterung eingesetzt. Der Vorsitzende der Frauenkirchengesellschaft, Ludwig Güttler, und die sächsische SPD sprechen sich für einen neuen Bürgerentscheid aus: Erhalt des Welterbetitels oder Waldschlösschenbrücke? Tertium non datur. Güttler bedient sich eines demagogischen Schlenkers: "Auch Mehrheiten können irren." Er habe zwar selbst für die Brücke gestimmt, aber "für eine Brücke eine in der Welt hochbegehrte und uns sehr gut anstehende Auszeichnung zu opfern, das ist verantwortungslos."

Zumal es Alternativen gibt. Brückengegner aus der Dresdner Architektenschaft haben längst ein Tunnelprojekt am Waldschlösschen entworfen, das die Elblandschaft nicht verschandelt und preiswerter sein soll. Erst unlängst war Dresden durch den Verkauf sämtlichen städtischen Wohneigentums an einen US-Investor aufgefallen, um sich mit einem Schlag schuldenfrei zu machen. Eine ziemlich abenteuerliche Idee. Tonnenideologie scheint nicht der weiche Standortfaktor zu sein, den eine Weltkulturstadt mit ihren herrlichen Panoramen braucht. Weder beim Brückenbau noch im Wohnungswesen.



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